Reform des Prostitutionsgesetzes
"Ein gefundenes Fressen für Moralapostel"
Interview mit Dr. Margarete Gräfin von Galen
08.11.2013
Dr. Margarete Gräfin von Galen ist Anwältin in Berlin und vorwiegend als Strafverteidigerin tätig. 2004 erschien ihr Buch "Rechtsfragen der Prostitution. Das Prostitutionsgesetz und seine Auswirkungen".
Das älteste Gewerbe der Welt macht derzeit wieder Schlagzeilen. Alice Schwarzer ruft in der Emma zum Kampf gegen die "moderne Sklaverei" auf. Derweil hofft die Union, zusammen mit der SPD schärfere Gesetze verabschieden zu können. Doch viele Vorschläge gehen am Problem vorbei und sind Ausdruck einer paternalistischen und verlogenen Politik, findet Margarete Gräfin von Galen.
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LTO: Frau Dr. Gräfin von Galen, bevor wir in die Debatte einsteigen zunächst ein kleiner historischer Rückblick. Das Prostitutionsgesetz gibt es seit Ende 2001. Welche Ziele hat der Gesetzgeber damals verfolgt?
von Galen: Das Gesetz sollte die Prostitution insgesamt aus dem kriminellen Milieu herausholen. Der Vertrag eines Freiers mit einer Prostituierten galt vorher als sittenwidriges Rechtsgeschäft, Prostituierte konnten ihren vereinbarten Lohn also auch nach erbrachter Leistung nicht einklagen – das hat sich geändert. Außerdem sollte die Arbeit der Prostituierten in einem Bordell in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ermöglicht werden und der Straftatbestand der Förderung der Prostitution wurde abgeschafft.
LTO: Und haben diese Änderungen den gewünschten Erfolg erzielt?
von Galen: Teilweise. Der Lohn kann jetzt tatsächlich eingeklagt werden. Besonders häufig wird das nicht nötig, aber es hat ja auch einen
bedeutenden symbolischen Wert, ob die Rechtsordnung einer Prostituierten vermittelt, dass ihre Arbeit nichts wert und per se verwerflich ist, oder nicht.
Die Abschaffung der Förderung der Prostitution war überfällig und hat ganz konkrete, bedeutsame Auswirkungen mit sich gebracht. Vorher hat sich praktisch jeder Bordellbetreiber nach dieser Norm strafbar gemacht. Der Tatbestand hatte wohlgemerkt mit Zwangsprostitution, Menschenhandel usw. überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil: Je angenehmer und ansprechender die Betreiber die Arbeitsbedingungen gestaltet haben, zum Beispiel durch Bereitstellen von Kondomen oder flexible Arbeitszeiten, desto eher haben sie die Prostitution gefördert.
Das war völlig absurd, gewissermaßen wie Anstiftung oder Beihilfe zu einem nichtexistenten Straftatbestand, da man Prostitution an sich ja durchaus nicht verbieten wollte. Indem die Norm weggefallen ist, sind viele Personen als Bordellbetreiber auf den Markt gedrängt, für die das vorher nicht in Frage kam, weil sie sich nicht strafbar machen wollten. Das sind natürlich nicht gerade Mitarbeiter im Finanzministerium, aber zum Beispiel Bar- oder Discothekenbetreiber.
"Soziale Ächtung trägt zu Verschleierung von Arbeitsverhältnissen bei"
LTO: Und wie steht es um die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse?
von Galen: In diesem Punkt ist das Gesetz weitestgehend gescheitert. Woran das liegt, ist unklar. Zum Teil wohl am Selbstverständnis der Prostituierten, die ihr Geschäft eher als freie Arbeit denn als Angestelltenverhältnis betrachten, zum Teil auch an dem Wunsch, diesen sozial nach wie vor schlecht angesehen Beruf nicht gegenüber Arbeitsagentur und Rentenversicherungsträger anzugeben.
Sie müssen sehen, dass es
in den meisten gesellschaftlichen Schichten nach wie vor schwer bis unmöglich ist, offen zuzugeben, dass man als Prostituierte arbeitet, ohne geächtet zu werden. Das bedeutet für die Frauen einen unheimlichen sozialen Druck. Viele von ihnen leben ein Doppelleben und wollen an so wenigen Stellen wie möglich angeben, wie sie ihr Geld verdienen. Die aktuelle Diskussion verbessert die soziale Stellung der Prostituierten leider herzlich wenig.
LTO: Hat es seit dem Erlass 2001 Änderungen am Prostitutionsgesetz gegeben?
von Galen: Nein. Ein Entwurf von CDU und FDP, der unter anderem vorsah, Bordelle zu überwachungsbedürftigen Gewerben zu machen, hatte zwar den Bundestag passiert, wurde aber in der letzten Sitzung des Bundesrates gekippt.
LTO: Nach den Wahlen sind die Karten neu gemischt. Die Union will die Gesetze verschärfen und es ist gut möglich, dass die SPD mitzieht. Ein maßgebliches Argument ist dabei der Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Aber wissen wir eigentlich, wie groß diese Probleme wirklich sind?
von Galen: Verlässliche Zahlen gibt es dazu praktisch nicht. Mein Eindruck nach Gesprächen mit den Beratungsstellen ist, dass es sich
nur um einen relativ kleinen Prozentsatz aller Prostituierten handelt, aber natürlich ist jeder Einzelfall einer zu viel. Außerdem scheint es in der Tat so zu sein, dass durch die EU-Osterweiterung die Armutsprostitution insbesondere aus Rumänien und Bulgarien in Deutschland zugenommen hat.
"Wegen einzelner Missstände ein ganzes Gewerbe zu stigmatisieren, ist absurd"
LTO: Also wäre eine strengere Kontrolle sinnvoll?
von Galen: Das kommt drauf an. Ein Vorgehen gegen Menschenhandel ist natürlich sinnvoll, aber nicht in Form eines repressiven Vorgehens gegen Prostitution schlechthin. Wenn Sie zum Beispiel hören, dass in den
Vereinigten Arabischen Emiraten Bauarbeiter schlecht behandelt werden und sogar wegen der schlechten Arbeitsbedingungen sterben, dann denken Sie darüber nach, wie man die Arbeitsbedingungen verbessern könnte – aber bestimmt nicht über ein grundsätzliches Verbot oder eine Beschränkung von Bauarbeiten.
Im Falle der Prostitution gibt es eine
konservative, moralisierende Schicht, die das Gewerbe tatsächlich am liebsten ganz verbieten würde und den Schutz vor Menschenhandel vor ihren Karren spannt. Das ist kontraproduktiv, weil das Problem so nicht verbessert, sondern eher verschlimmert wird. In
Schweden zum Beispiel, wo Prostitution illegal ist, geht es den natürlich trotzdem vorhandenen Prostituierten eher schlechter als besser.
LTO: Was wären denn sinnvolle Maßnahmen?
von Galen: Ein Ausbau des Beratungsangebots und ein
proaktiver Umgang mit Prostituierten. Auf der Ebene der Beratungsangebote werden nicht genügend Kapazitäten bereit gestellt, um mit den Frauen zu arbeiten, sich in sie hineinzuversetzen, soziale Besuche zu machen und so in problematischen Situationen intervenieren zu können. Diese Arbeit kann auch nicht die Polizei übernehmen, die immer ein repressives Element hat und zu den Frauen nie den gleichen Zugang finden wird. Außerdem sollten Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, nicht nur für die Dauer der Ermittlungen ein Aufenthaltsrecht erhalten; das entsprechende Abkommen des Europarats hat Deutschland zwar ratifiziert, ist aber über das nötige Mindestmaß in Sachen Opferschutz nicht hinausgegangen.
Ein weiterer Punkt ist die Erteilung von
Arbeitsgenehmigungen. Im Zuge der angesprochenen EU-Osterweiterung wurde aus Sorge vor einer Flut von Billiglohnkräften eine erst Ende 2013 auslaufende, abgestufte Regelung geschaffen, wonach rumänische und bulgarische Bürger eine Arbeitserlaubnis benötigen. Die erhalten sie als Prostituierte aber nicht, und
ob den EU-Bürgern Hartz IV zusteht, war ja bis vor kurzem auch offen und ist immer noch nicht endgültig geklärt. Wenn der Staat hier mehr auf die Frauen zuginge, ihnen womöglich sogar die
Adressen seriöser Bordelle vermitteln würde, wäre damit ein wichtiger Schritt getan. Stattdessen ignoriert er sie, schafft Sperrgebiete, um sie auch räumlich auszugrenzen und
sieht zu, wie sie mit der Hilfe zwielichtiger Gestalten in Deutschland ihr Glück suchen.
LTO: Jemanden zur Prostitution zu zwingen, ist natürlich auch heute schon illegal. Was hindert die Betroffenen eigentlich, zur Polizei zu gehen?
von Galen: Das ist leichter gesagt als getan. Sicherlich stehen teilweise Bedrohungen der Zuhälter im Raum. Einige Frauen kommen auch aus Ländern und Lebensumständen, die ohnehin katastrophal sind und sind es kaum besser gewöhnt. Das aufgeklärte und selbstbestimmte Frauenbild Deutschlands ist nicht in allen Teilen der Welt – oder auch nur Europas – so anzutreffen. Diese Frauen haben weder den Mut, das Selbstverständnis noch die Beratung und
die Mittel, um sich rechtlich durchzusetzen.
"Eine gewerberechtliche Kontrolle wäre sinnvoll, wenn sie gut umgesetzt wird"
LTO: Ein konkreter Vorschlag, der in der Diskussion ist, ist eine gewerberechtliche Anzeige- oder Erlaubnispflicht für Bordelle. Was halten Sie davon?
von Galen: Ich fände das grundsätzlich nicht problematisch und potentiell nützlich – allerdings
nur, wenn es auch sinnvoll umgesetzt wird. Derzeit erkennen 5 Bundesländer Bordelle überhaupt nicht als Gewerbe an, sie könnten sich dort also nicht mal anmelden, wenn sie wollten. In anderen Ländern wird den Betreibern von den Behörden teilweise geraten, sich lieber als
Zimmervermietung oder ähnliches zu registrieren. Wenn nun gleich eine Erlaubnispflicht eingeführt würde, habe ich die Sorge, dass die Behörden darauf nicht ausreichend vorbereitet wären und
uneinheitliche, teilweise unsinnige Standards an die Frage der Erlaubnisfähigkeit anlegen würden. Eine bundesweit einheitliche Anzeigepflicht, verbunden mit der Möglichkeit, zum Beispiel bei
erheblichen Vorstrafen des Betreibers das Gewerbe zu untersagen, fände ich allerdings sinnvoll.

5 Bundesländer von 18 d.h. 27% oder knapp 1/3 der Länder erkennen den Betrieb von Sexarbeitsstätten nicht als Gewerbe an !!!
Jetzt nur noch 4: Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=136347#136347
LTO: Es gibt auch den Vorschlag, Freier zu bestrafen, die mit Zwangsprostituierten verkehren. Was halten Sie davon?
von Galen: Im Einzelfall gibt es da sicher Situationen, die strafwürdig sind. Häufig dürfte es aber
schwierig werden, zu beweisen, dass der Freier die Zwangslage der Prostituierten kannte. Insgesamt halte ich es
nicht für sinnvoll, weitere Akteure im Bereich der Prostitution zu kriminalisieren. Dort, wo Sanktionen notwendig sind, sollte man das Problem an der Wurzel packen, also weder bei den Prostituierten noch bei den Freiern, sondern bei den Vermittlern und Menschenhändlern.
"Was Frau Schwarzer tut, ist frauenfeindlich"
LTO: Zum Abschluss eine unjuristische Frage: Frau Schwarzer ruft aktuell in der Emma zu einer radikalen Zurückdrängung bis hin zu einem Verbot der Prostitution auf. Zahlreiche Prominente haben sich ihrem offenen Brief angeschlossen. Was halten Sie davon?
von Galen: Meines Erachtens kann man
Frau Schwarzers Haltung in dieser Frage nur als klar frauenfeindlich bezeichnen. Sie will ihre persönlichen Maßstäbe von richtig und falsch zur verbindlichen Vorgabe für jede Frau machen. Es ist aber unbestreitbar, dass viele Frauen, die in diesem Gewerbe arbeiten, dies gern und freiwillig tun. Diese Frauen leiden nicht unter der Prostitution an sich, sondern unter der
sozialen Stigmatisierung, zu der Frau Schwarzer maßgeblich beiträgt.
Dass es daneben in der Tat auch Missbrauch gibt, ist unbestritten, aber da kann ich nur zu meinem Bauarbeiter-Beispiel zurückkommen:
Missstände im Einzelfall rechtfertigen nicht das generelle Verbot eines ganzen Gewerbes.
LTO: Frau Dr. Gräfin von Galen, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.
http://www.lto.de/recht/hintergruende/h ... nispflicht