Fiction?
Ich lasse hier die persönlichen Angaben und die Angaben zum Ort der Handlung weg. Ich denke der Sachverhalt ist beispielhaft fern von Ort, Zeit und handelnden Personen. Der Brief wird in dieser oder ähnlicher Form seine eigentlichen Adressat_innen erreichen
Sehr geehrte Frau ..., (geehrter Herr)
in der Anlage erhalten Sie das Dokument von ICRSE - SWAN - TAMPEP zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Sexarbeiter_innen. Das Dokument ist in Englisch.
Dieser Link auf die Seite des Bundesverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen führt zu einer deutsche Übersetzung wichtiger Passagen der Erklärung.
http://sexwork-deutschland.de/?p=637
In ... beobachte wir, neben anderen Angriffen auf Menschen, die der Sexarbeit nachgehen, zur Zeit zwei Vorgänge, die das verdeutlichen, was in der Erklärung als strukturelle Gewalt beschrieben wird, die, wie sie wissen, im Wesentlichen Frauen betrifft.
Fall 1
In Gesprächen mit rumänischen Sexarbeiterinnen, die ihrer Tätigkeit aus eigenem, freien Willen nachgehen, habe wir erfahren, das derzeit in ... ein Vergewaltiger Locations der Sexarbeit aufsucht. Uns wurde von den betroffen Sexarbeiterinnen berichtet, dass der Vergewaltiger mehrfach übergriffig geworden ist. Er hat darüber hinaus mehrfach Gewalttätigkeiten begangen, und sexualisierte Gewalt ausgeübt. Im schlimmsten Fall wurde eine Sexarbeiterin von ihm durch ein Kissen dem Ersticken ausgesetzt. Es kam zu einer Vergewaltigung ohne Kondom. Der Vergewaltiger tritt mit unterschiedlichen Verkleidungen und Perücken auf und suchte bereits verschiedene Locations in ... auf. Eine Verfolgung scheiterte in einem Fall.
Die betroffenen Frauen wollen nicht zur Polizei gehen, da ihre Arbeitsorte durch die Schliessungswelle von Locations, die in ... mit dem Baurecht begründet wird, bedroht sind. Sie sehen sich durch diese strukturelle Massnahme in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Sie ziehen es vor, sich nicht an die Behörden zu wenden. Sie werden uns beipflichten, dass zur Vermeidung einer zweiten Viktimisierung die Identität der Frauen solange geschützt werden muss, bis diese selber die Entscheidung treffen, Hilfe nachzufragen. Anderes Handeln, eventuelle Razzien, intensive Ermittlungsmassnahmen in den Locations, Einsatz größerer Polizeikontingente, scheiden, da werden wir den gleichen Standards parteilicher Soziarbeit verpflichtet sein, als Handlungsoption aus. Das Vertrauen in staatliches Handeln ist bei den Sexarbeiterinnen bereits beschädigt. Dieser Schaden sollte nicht vergrößert werden.
Der Fall wurde daher von uns nur allgemein geschildert. Er hat sich in den vergangenen Wochen in ... ereignet und wird sich, solange der Vergewaltiger nicht gefasst wird, in einer Location gegenüber einer Sexarbeiterin oder am anderen Ort gegenüber einer anderen Frau wiederholen. Vermeidbar aber, struktureller Marginalisierung der Sexarbeit geschuldet, sich ereignend. Stigma kills.
Fall 2
In den letzten Wochen haben wir Gespräche mit vielen in ... tätigen Sexarbeiterinnen aus Rumänien geführt. Die Gespräche führten wir im Rahmen einer Erhebung zur Frage von Gewaltverhältnissen durch, die laut Ihrer und der Aussage von Herrn Mäurer in Bremen in der Sexarbeit überwiegend vorherrschen würden (Zeitung ..., Artikel ...).
In Laufe der Gespräche, die wir an den Arbeitsorten (Wohnungen) der Sexarbeiterinnen aus Rumänien durchgeführt haben, wurde von diesen immer wieder betont und nachhaltig klargestellt, dass sie ihrer Tätigkeit aus eigenem, freiem Willen nachgehen würden. Auch zu diesen Aussagen, ein Link, der Ihnen mehr Einblick verschaffen kann:
http://sexwork-deutschland.de/?page_id=43
Bei einem der letzten Gespräche, die wir geführt haben, wurde zwei Sexarbeiterinnen seitens des Vermieters (oder dessen Beauftragten) das weitere Gespräch mit uns untersagt. Die Sexarbeiterinnen beendeten daraufhin das Gespräch mit uns, da sie Angst hatten, ihren Arbeitsort in Bremen zu verlieren. So wie es allen abhängigen Beschäftigten gehen würde, die sich über die betriebliche Weisung hinwegsetzen würden, mit Aussenstehenden über betriebliche Interessen und Angelegenheit zu sprechen. Dies gilt schliesslich auch im Verhältnis Senator und Sachbearbeitung. Welchen Hintergrund die Untersagung durch den Vermieter hatte, können wir im Einzelnen nicht beurteilen. Wir halten dieses Vorgehen des Vermieters allerdings für unangemessen. Es soll hier aber nicht im Zentrum stehen. Auch wenn mit gleicher Begründung wohl weitere neun rumänische Sexarbeiterinnen das Gespräch mit uns nicht führen bzw. fortführen konnten. Auch hier gilt es natürlich, wie im obigen Fall, eine zweite Viktimisierung zu vermeiden
Strukturelle Gewalt
Im Zentrum steht für uns der Hinweis auf die Tatsache der strukturellen Massnahmen gegen die Sexarbeit in ... durch Schliessung von Locations. Es wurden im vergangenen Jahr weit über 20 Locations geschlossen. Dies betrifft wenigstens 50 Zimmer, in denen Sexarbeiterinnen ihrer Tätigkeit nachgehen konnten. Die so bewirkte Verknappung von Arbeitsorten setzt die Sexarbeiterinnen unter massiven Druck und schwächt deren Verhandlungsposition auf dem Markt der möglichen Arbeitsorte erheblich. Um ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern, sind sie bereit Anweisungen von Vermietern zu akzeptieren, die sie, sofern der Markt an möglichen Arbeitsorten nicht reduziert worden wäre, und ihnen sozial Wertschätzung zuteil würde, nicht hätten akzeptieren müssen. So wie eben in Industrie, Haushalt und Gesundheitswesen aufgrund der Marklage Leih-, Werksvertrags- oder ohne jeden Vertrag Arbeitende extremste Formen der Ausbeutung, gefährdender Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen hinnehmen müssen.
In beiden geschilderten Fällen sind strukturelle, politisch verursachte Gegebenheiten dafür verantwortlich, dass die Vulnerabilität der Frauen erhöht, ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet und ihre ihre Rechtsposition geschwächt wurde. Hinzu kommt die durch Herrn ... und Sie klassifizierend vorgenommene Bewertung der ethnischen Gruppe rumänischer Sexarbeiterinnen, als überwiegend entmündigte, willenlose Menschen, die nicht zu Entscheidungen in eigener Sache befähigt, sondern von Gewaltverhältnissen bestimmt sind. Durch nichts belegt und realitätswidrig dient diese Klassifizierung von Frauen als entmündigte Menschen, als Rechtfertigung für ein restriktives Vorgehen gegen Locations in ... . Unter der Fahne der Samariter wird den Frauen „Hilfe“ zuteil, nach der sie nicht gerufen haben und die sich nicht wollen. Rollkommandos, so die Aussage verängstigter Frauen bei sogenannten polizeilichen Präventivkontrollen in ..., verschaffen sich, einen humanitären Hilfseinsatz vortäuschend, Zugang zu Wohnungen, Privat- und Intimsphäre. Als hilfreich empfinden das die diesem Zwangseingriff unterworfenen Frauen nicht. Lieber hätten sie eine_n Beamte_n oder zwei zum Kaffee eingeladen. Kein Problem. Nur, wieso die Polizei, lieber die Nachbarn oder sie Frau ... , gern auch Herrn ... .
Unbeabsichtigte Folgen, absichtsvollen Handelns
Dieses Vorgehen schafft, so stellen die geschilderten Fälle dar, allerdings erst Verhältnisse struktureller Gewalt, die dann die Grundlage für Entrechtung und Entmündigung durch Dritte sein können. Jedoch sind es in diesem Fall weder Zuhälter noch Menschenhändler, die der Entmündigung und Entrechtung die Basis schaffen. Die Verwaltungspraxis der Schliessung von Locations, auch die Angst davor, sind es, die sprachlich, wirtschaftlich und rechtlich marginalisierte Frauen, ihre wirtschaftliche Existenz sichernd, dazu zwingt, den Anordnungen von Vermietern zu folgen oder Gefahren für Leib und Leben in Kauf zu nehmen. Wobei die Anordnung der Vermieter, keine politischen Statements seitens der Sexarbeiterinnen uns gegenüber abzugeben, als fürsorgliche Wahrung der Interessen der Sexarbeiterinnen interpretiert werden könnte.
Die wiederholte unbegründbare und unbelegbare Behauptung, Sexarbeiterinnen aus Rumänien unterlägen in ... überwiegend Gewaltverhältnissen, insbesondere sofern sie in Wohnungen arbeiten, wurde von einer restriktiven Amtspraxis begleitet, die heute zu Strukturen geführt hat, die das Gefährdungspotential für Sexarbeiterinnen erhöht, die Transparenz der Sexarbeit für Aussenstehende verringert, die Sexarbeiterinnen verletzlicher macht und das Misstrauen gegenüber politischen Absichten, egal von welcher politischen Gruppierung verfolgt, erhöht. Die Stärkung der Rechtsposition der Sexarbeiterinnen, die Ziel des Prostitutionsgesetzes von 2002 ist, wird damit nicht erreicht. Frauenrechte werden nicht gestärkt. Empowerment und Teilhabekultur sehen anders aus. Das ist unsere Meinung.
Gespräch
Wir würden zu diesen Fällen und Themenfeldern gerne mit Ihnen das persönliche Gespräch führen, da wir glauben, dass Sie in ihren Bemühungen um die Gleichberechtigung von Frauen, ein Bild von Sexarbeit und Sexarbeiterinnen haben und vermitteln, das sehr realitätsfern ist. Dieses realitätsferne Bild, führt, so sehen wir das, zu Handlungen ihrerseits, die das Gegenteil dessen bewirken, was sie, laut öffentlicher Erklärungen, beabsichtigen.
Wir das sind:
...
Wir würden sie gerne aufsuchen oder sie gerne einladen, um das Gespräch zu führen. Wir würden Ihnen gerne die Ergebnisse unsere Erhebung über Sexarbeiterinnen insbesondere rumänischer Herkunft vorstellen, die in ... in Wohnungen tätig sind.
Danke für Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
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