12. FEBRUAR 2014
Sexarbeit: Zwischen Selbstbestimmung und Ausbeutung
Zurzeit wird – vor allem in den Medien – über Sexarbeit diskutiert.
Soll sie stärker reglementiert, gar verboten oder weiter legalisiert werden? Üben Prostituierte ihre Tätigkeit überwiegend freiwillig aus oder werden die meisten von ihnen dazu gezwungen? Müssen Prostitutionsstätten verstärkt durch die Polizei kontrolliert werden oder gibt es andere Ansätze zur Bekämpfung von Missständen und Gewalt?
Die Bremer Linksfraktion bot gestern dazu im Bremer Kulturzentrum Lagerhaus eine Veranstaltung an. Gut 200 Gäste waren der Einladung der LINKEN gefolgt, um über dieses Thema zu reden.
Michael Horn und Stefanie Möller sprachen mit der Sexarbeiterin Stephanie Klee, die an der Podiumsdiskussion teilnahm. Jean-Philipp Baeck von der Bremer Lokalredaktion der taz führte mit der ebenfalls teilnehmenden Claudia Bernhard ein Interview, das wir hier, mit freundlicher Genehmigung der taz, veröffentlichen .
Beide Gespräche können Sie unten aufgeführt einsehen. [mh]
"Kaum verlässliche Zahlen"
taz: Frau Bernhard, wie groß bewerten Sie das Problem der Zwangsprostitution?
Claudia Bernhard: Das Problem ist selbstverständlich ein großes und es muss bekämpft werden, dass man dort Frauen sexistisch ausbeutet. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, Opferschutz, Aussagen-Unterstützung und Aufenthaltsgenehmigungen. Aber: Um die Frage der Zwangsprostitution geht es bei unserer heutigen Veranstaltung nicht in erster Linie. Es gibt die Auseinandersetzung um die Neufassung des Prostitutionsgesetzes…
… in deren Zusammenhang die einen sagen, es hätte die Zwangsprostitution beflügelt, wohingegen die anderen dieses Problem marginal nennen.
Es gibt kaum verlässliche Zahlen dazu, wie groß der Anteil der Zwangsprostitution ist. Aber mit einer Verbotsdebatte kommen wir nicht weiter, denn Illegalität befördert die Zwangsprostitution. Leider gibt es aber die Tendenz, Prostitution wieder stärker zu brandmarken.
Woher kommt der Rollback?
Schwer zu sagen. In der Diskussion verhandeln wir die ganzen gesellschaftlichen Moralvorstellungen mit. Plötzlich ist ja auch Homophobie wieder stärker ein Thema, überkommene Rollenbilder werden wieder ins Feld geführt.
Ein Bremer Prostitutionsgesetz hatte klare Regeln für das Gewerbe im Sinn, inklusive einem Zugriff auf Modellwohnungen.
Ich bin nicht gegen die Kontrolle, nur muss man sehen, was man bekämpft und ob man den Verdacht gegen alle im Gewerbe richtet - das ja nach wie vor kein wirkliches Gewerbe ist.
Warum nicht?
Weil mit der Legalisierung durch das Bundes-Prostitutionsgesetz 2002 versäumt wurde, die gewerberechtliche Seite im Bundesrat zu klären.
Wie lassen sich die Bedingungen der Sexarbeit verbessern?
Man muss Möglichkeiten finden, damit wir eine Entscheidungsfreiheit hinbekommen. Also: Was es an Beratung und gesundheitlicher Unterstützung braucht, und auch, was man für Ausstiegsszenarien anbieten kann.
"Sexarbeit - Zwischen Selbstbestimmung und Ausbeutung"
Online-Redaktion: Die Prostitution ist wieder verstärkt in dem Blickpunkt von Politik und Medien gerückt. Allerdings häufig unter dem Blickwinkel so genannter ‚Zwangsprostitution‘. Sie sind selbst Sexarbeiterin und kennen sich in der Szene somit aus. Teilen Sie den Eindruck, der häufig in der Öffentlichkeit verbreitet wird, dass der überwiegende Teil der Frauen und Männer, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, dazu gezwungen werden?
Stephanie Klee: Nein, die Realität in der Prostitution sieht ganz anders aus. Der überwiegende Teil der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter geht dieser Tätigkeit freiwillig nach. Es fehlen allerdings oft Professionalität und Stärke sowie das Wissen über die eigenen Rechte. Außerdem hat Prostitution nichts mit sogenannter „Zwangsprostitution“ zu tun: das eine ist Arbeit und das andere ist Gewalt sowie Zwang und somit strafbar. Beides gehört getrennt betrachtet und behandelt, sonst werden sie beiden Gruppen nicht gerecht.
Vor nunmehr gut zwölf Jahren wurde das Prostitutionsgesetz erlassen mit dem Ziel, die rechtliche Situation von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu verbessern. So sollten bei den angebotenen sexuellen Handlungen einklagbare Entgeltforderungen gegenüber Freiern erhoben werden können. Zudem können sich Prostituierte nun auch regulär in den gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungen versichern. Hat dies Ihrer Meinung nach die Lage der Sexanbietenden wesentlich verbessert?
Nein, denn leider hat sich die Politik in den letzten Jahren nicht um die Umsetzung und Erweiterung des Prostitutionsgesetzes gekümmert. Man hat einfach die Durchführung dem freien Markt beziehungsweise den beteiligten Behörden überlassen – so haben wir einen rechtlichen Flickenteppich mit der Konsequenz, dass auf den verschiedenen Rechtsgebieten, so zum Beispiel beim Gewerbe-, Bau- und Polizeirecht, von Stadt zu Stadt und von Bundesland zu Bundesland verschiedene Handhabungen bestehen. Es hätte deutschlandweit einheitlicher Regelungen bedurft, um Klarheit zu schaffen. Allerdings war das Prostitutionsgesetz ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung.
In Bremen gibt es aktuell Bestrebungen, Prostitution stärker zu kontrollieren und einzudämmen. Wie sehen Ihre Arbeitsbedingungen denn heute schon in der Regel aus, werden Sie von Behörden schikaniert und von Zuhältern drangsaliert?
Bremen will offensichtlich einen Sonderweg gehen und nicht auf Bundesregelungen warten. Das halte ich für falsch, weil damit keine Rechtssicherheit entsteht und die Arbeit für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nur schwieriger wird. Die Überlegung, Prostitution in Bremen „einzudämmen“ halte ich für absurd, weil sie damit die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ins Abseits drängen, wo sie eher in Abhängigkeiten und in Gefahrensituationen geraten. Damit die Branche gute Arbeitsbedingungen und Transparenz – auch für die Behörden – schafft, braucht es einen gewissen Respekt und klare gesetzliche Regelungen. Darauf aufbauend können dann Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sowie Bordellbetreiberinnen und Bordellbetreiber Vertrauen in den Staat und seine Behörden entwickeln und für alle Beteiligten die Situation in den Bordellen angenehmer gestalten.
Frau Klee, wir danken Ihnen für dieses Gepräch!
http://www.dielinke-bremen.de/nc/politi ... beutung-1/
Kasharius grüßt