8. Februar 2015, 15:00
Ordensschwester zu Prostitution in Deutschland
"Kondompflicht - wer soll das überprüfen?"
Ordensschwester Lea Ackermann engagiert sich seit 30
Jahren gegen sexuelle Ausbeutung. Von den Plänen der großen Koalition
für ein neues Prostitutionsgesetz ist sie enttäuscht. Länder wie
Frankreich oder Schweden seien viel weiter darin, die Frauen zu
schützen.
Mehrere hunderttausend Frauen in Deutschland arbeiten als
Prostituierte, weit mehr als die Hälfte kommt aus dem Ausland,
Schätzungen zufolge bis zu 80 Prozent. Genaue Zahlen weiß niemand.
Nach langen Auseinandersetzungen
hat sich die große Koalition in dieser Woche auf ein neues Gesetz zum Schutz von Prostituierten geeinigt.
So wird es zwar eine Kondompflicht geben, aber keine Heraufsetzung des
Mindestalters. Vorgeschrieben wird ferner eine regelmäßige medizinische
Beratung. Parallel begann in Frankreich ein großer Zuhälter-Prozess
gegen den ehemaligen Politiker Dominique Strauss-Kahn.
Zwangsprostitution, die Rechte der Frauen und die Macht der
Bordellbesitzer stehen wieder im Fokus. Doch bei der Frage, wie der
Schutz der Frauen im Rotlichtmilieu verbessert werden kann, herrscht
große Ratlosigkeit - und viel Streit.
Ordensschwester Lea Ackermann, 78, verfolgt die Entwicklung überaus kritisch. Sie leitet seit 30
Jahren die Hilfsorganisation Solwodi ("Solidarity with women in
distress"/"Solidarität mit Frauen in Not"). Von den neuen Regelungen in
Deutschland ist sie enttäuscht. Sie bezweifelt, dass es Prostituierten
damit tatsächlich besser gehen wird: "Kondompflicht, wie schön - aber
wer soll das überprüfen? Keine Heraufsetzung des Mindestalters auf 21
Jahre? Das finde ich ganz schrecklich, weil junge Mädchen gar nicht
abschätzen können, in was sie da hineingeraten", sagt Ackermann.
Rot-Grün hat nicht die Prostituierten gestärkt, sondern das Rotlichtmilieu
Frankreich sei mit seiner Gesetzgebung wesentlich weiter als
Deutschland, so die Ordensschwester. Im Nachbarland ist Zuhälterei
verboten; ein Gesetz, dem zufolge Freier für gekauften Sex bestraft
werden können, ist in Arbeit. "In Frankreich war Prostitution nie in der
Gesellschaft akzeptiert. Zuhälter durften Frauen nicht abkassieren.
Wenn da ein Verdacht aufkam, mussten diese Männer beweisen, wovon sie
leben", so die Solwodi-Gründerin. In Deutschland jedoch heiße es immer:
Wir können Prostitution schon irgendwie regeln.
Das Gesetz, das von der früheren rot-grünen Regierung 2001
beschlossen wurde und nun geändert werden soll, stelle Prostitution als
Beruf wie jeden anderen hin. Man habe den Tatbestand der
Sittenwidrigkeit abgeschafft und die Prostitution damit salonfähig
gemacht. Das Gesetz habe aber nicht die Prostituierten gestärkt, sondern
die Geschäftemacher im Rotlichtmilieu.
Ackermanns Organisation beobachtet, dass die Bordellbetreiber
dank des neuen Gesetzes ganz legal mehr Großbordelle und sogenannte
Wellnessparadiese bauen. "Die Frauen, die da tätig sind, haben aber
nicht mehr Rechte bekommen. Ein Bordellbetreiber hat außerdem ein
eingeschränktes Weisungsrecht - als Arbeitgeber. Was aber bedeutet
"eingeschränkt"?", fragt die Ordensschwester.
Ihr Beispiel: Die Polizei beobachtete in Augsburg über drei Jahre
hinweg ein Großbordell, schließlich erfolgte die Razzia. In dem Raum,
in dem sich die Frauen den Kunden zeigten, herrschte absolutes
Textilverbot. Sie durften noch nicht einmal ein Handtuch in der Hand
halten, wurden rund um die Uhr überwacht. Als die Frauen befragt wurden,
gaben sie an, freiwillig da zu sein.
Dass
das Ganze keinerlei strafrechtliche Konsequenzen hatte, zeige das
Dilemma. Denn das Landgericht verwies auf das Weisungsrecht des
Bordellbetreibers. "Dass es nicht menschenwürdig war, wie die Frauen
behandelt wurden, dass sie sich nicht einmal bekleiden durften, spielte
keine Rolle", so Ackermann. Ein weiteres Problem sind die Baugesetze:
Sie machten es Städten schwer, den Bau von Bordellen zu verbieten.
In Schweden können Freier bestraft werden, wenn sie für Sex
bezahlen. Der Erfolg dieses Gesetzes ist umstritten. Ackermann findet,
dass dieses Sexkaufverbot trotzdem gut funktioniert: "Es hat die
Diskussion ausgelöst, ob man dort in einer Gesellschaft leben möchte, in
der Mann und Frau gleichwertig sind. Da kann doch die eine Hälfte nicht
die andere kaufen!" Ihr Szenario: "Stellen Sie sich vor, ein Freier
wird erwischt und bekommt einen Strafzettel nach Hause. Dieser brave
Familienvater erhält vielleicht dort seine erste Lektion und dann eine
Geldstrafe. Die ist zwar nicht hoch, etwa so wie beim Falschparken. Der
Akzent liegt eben nicht so sehr auf Bestrafung, sondern auf dem
Blickwinkel - und das ist das Gute."
Dass bei der Bestrafung von Zuhältern ebenfalls viel im Argen
liegt, zeigt die Hilfsorganisation an diesem Beispiel auf: Im
vergangenen Jahr brachte die Polizei ein 15-jähriges Mädchen zu Solwodi.
Sie stammte aus einem osteuropäischen Kinderheim, war von dort mit
zwölf Jahren nach Deutschland gebracht und von zwei Männern drei Jahre
lang zur Prostitution gezwungen worden - als "tabuloser Teenie" wurde
sie angeboten. Im August kam es zum Prozess. Die Täter wurden zu einem
Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Ackermann empört sich:
"Ungeheuerlich. Das Mädchen ist fast durchgedreht vor Angst, als es
erfuhr, das die Männer wieder frei sind. Wir müssen sie
jetzt verstecken."