Horrorgeschichten aus der sexualisierten Sklaverei
Das Gesicht der Sklaverei
Von ALBERT LINK und NIELS STARNICK
BILD am SONNTAG
Die linke Gesichtshälfte zeigt ein hübsches, nachdenkliches Mädchen. Die andere Seite ist teuflisch entstellt. Die Bordellchefin hat Pros (19) aus Kambodscha das Auge ausgestochen, um sie zu bestrafen. Ein schreckliches Foto – wir drucken es, damit der Welt die Augen aufgehen. Die Unicef schätzt, dass allein in Asien eine Million Kinder und Jugendliche sexuell ausgebeutet werden.
Pros war so gut wie tot. Kein Wort konnte sie mehr sprechen, als Polizisten sie bei einer Razzia in einem Bordell fanden, zurückgelassen wie ein ausgesetztes Tier. An der Stelle, wo mal ihr rechtes Auge war, hatte sich eine Wunde entzündet. Das Gewebe war tumorartig angeschwollen, sodass Pros bei jedem Versuch zu sprechen Blut und Sekret aus dem Mund liefen.
Pros war eine Sklavin, halbblind und verstummt. Kreidebleich nach jahrelangem Sonnenlichtentzug. Ihrer Würde beraubt, für immer, wie es schien.
„Als Arzt in Kambodscha bekommt man viel Leid zu Gesicht“, sagt Dr. Seung Soryoun (34), der Pros gerade operiert und ihr ein Glasauge eingesetzt hat. „Aber glauben Sie mir: So etwas habe auch ich noch nie gesehen.“
Pros sitzt in ihrem Bett, lässt sich von ihren Freundinnen Pou und Sopheap die Haare kämmen. Gepflegt will sie aussehen, jetzt, da der Arzt zur Visite kommt und zwei Reporter aus einem fremden, kalten Land mitbringt. Pros steckt sich noch eine Spange ins Haar, lächelt schüchtern. Mögen sich Ärzte um ihre Operationsnarben kümmern. Um ihre Würde kümmert sie sich schon selbst.
Ihre Geschichte – sie
entlarvt all jene ignoranten Sex-Touristen, die Prostitution als Teil asiatischer Kultur und Tradition schönreden. Die, wann immer sie von einer Kindsfrau in einer schäbigen Bar angelächelt werden, glauben, das sei ein normales Geschäft, das stets auf Freiwilligkeit beruhe.
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Pros im Klinikbett
Kinderprostitution in Asien
Das Gesicht der Sklaverei
Foto: NIELS STARNICK
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„Wenn wir nicht genügend gelächelt haben“, sagt Pros, „dann setzte es Schläge. Oder wir wurden mit Wasser übergossen und mit Elektroschocks gequält“. „Vorteil“ dieser perfiden
Foltermethode mit einem an einen Stab gebundenen Stromkabel: Die „Kunden“ konnten den Mädchen am nächsten Tag keine Spuren ansehen. Das Fleisch blieb frisch.
Pros hat keine Antwort, wie so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist. Pros stellt die Frage – jedem einzelnen von uns, ohne Worte. Ihr Gesicht ist die Frage.
Sie stammt aus einem Dorf in der Provinz Prey Veng, an der Grenze zu Vietnam. „Wir waren acht Kinder, lebten in einem Haus mit zwei Zimmern und schliefen auf dem Bambus-Fußboden“, erinnert sich Pros. „Das Geld reichte nur, um drei meiner Brüder zur Schule zu schicken. Ich selbst arbeitete mit sieben Jahren im Reisfeld.“
Eines Tages tauchte eine Frau im Dorf auf, machte Pros ein Angebot: Sie könne mit ihren 13 Jahren als Geschirrwäscherin in der Hauptstadt arbeiten, zwei US-Dollar am Tag verdienen. „Ich wollte meinen Vater finanziell unterstützen“, sagt Pros.
„Ich wurde nicht verkauft wie viele andere Mädchen. Es war meine Entscheidung. Ich habe vertraut, das war mein Fehler.“
Die „Job-Vermittlerin“ brachte Pros in eine Bar in Phnom Penh – ihr erstes Gefängnis. „Sie sagte: ,Erhol dich von der Reise, ich besorge was zu essen.‘“ Pros sah sie nie wieder. Stattdessen kam eine herrische Frau Mitte 30, die verlangte, „Mer“ – „Mutter“ – genannt zu werden. „Sie erklärte, dass sie mich gekauft hat, und dass ich von nun an zu tun habe, was sie sagt. Sie hatte einen Wachmann dabei. Auf ihren Befehl zückte er ein Messer, ritzte mir das Knie auf. Als Warnung, was mir blüht, sollte ich einen Fluchtversuch wagen.“
Stille im Krankenzimmer. Wortlos zieht Pros die grüne Bett-Decke zurück, um ihre Narbe zu zeigen. Sie ist auch sechs Jahre später noch gut sichtbar.
Als Erstes wurde ihr die Identität geraubt: „Ich bekam einen neuen Namen, hieß von nun an Ny. [Das sehen freiwillige Sexworker als selbstverständliche Schutzmaßnahme an. Anm.] Außer mir waren da noch vier ältere Mädchen. Wir wurden in ein finsteres Hinterzimmer gesperrt. Vorne war die Bar, die von Einheimischen wie Ausländern besucht wurde. Wann immer die Männer nach hinten kamen, um sich eine von uns auszusuchen,
waren meine Hände gefesselt. Jeder konnte sehen, dass wir Gefangene waren.“
Kambodscha ist – bei aller Aufbruchstimmung – noch immer ein Land im Ausnahmezustand. Traumatisiert durch das Horror-Regime der Roten Khmer. Von 1975 bis 1979 töteten Pol Pot und seine Anhänger ein Viertel der Bevölkerung, folterten Intellektuelle (es genügte der Besitz einer Brille), mordeten millionenfach auf den „Killing Fields“. Die meisten Täter wurden nie bestraft. [Das sollte nicht als Entschuldigung der Verbrechen in der sexualisierten Sklaverei verstanden werden, auch wenn es das Maß der Grausamkeiten verstehbar macht, indem es sie in Bezug setzt. Anm.]
Im Kampf ums Überleben, später in der Aufarbeitung ihrer Familientragödien waren die Kambodschaner auf sich allein gestellt. Wer zu Macht kam, suchte den eigenen Vorteil.
Polizisten und Militärs ließen sich fürs Wegschauen bezahlen oder eröffneten gleich selbst Bordelle. Die – offiziell illegale – Prostitution breitete sich krebsartig aus.
Laut Unicef-Schätzung werden allein in Asien mehr als eine Million Minderjährige zur Prostitution gezwungen. Weltweit werden jährlich mehr Mädchen an die Sex-Mafia verkauft als zum Höhepunkt des transatlantischen Sklavenhandels Afrikaner in die Neue Welt gebracht wurden.
Pros fügte sich zunehmend in ihr Schicksal. „Nach einigen Monaten waren Fesseln nicht mehr nötig“, erzählt sie stockend
„Mein Wille war gebrochen. Nur noch die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit meiner Familie hielt mich am Leben. Wir bekamen nur selten zu essen. Gegen den Hunger trank ich Leitungswasser. Davon bekam ich Bauchschmerzen, wurde immer wieder ohnmächtig. Wer sich beklagte, wurde mit einem Seil geschlagen, sobald die Kunden weg waren. Zuvor kam meist noch der betrunkene Wachmann, um eine von uns zu vergewaltigen.“
Pros senkt den Kopf, zieht die Nase hoch, schweigt. Sie weint nicht. Aber die Füße unter der Bettdecke zittern.
„Meine Kraft reichte weder, um an Flucht zu denken noch an Selbstmord“, sagt sie leise. Eines der Mädchen habe versucht zu fliehen – und dafür mit dem Leben bezahlt.
Es gibt Dinge, über die Pros nur mit ihren engsten Vertrauten sprechen kann. Dazu gehören die Nadelstiche im Intimbereich, die sie über sich ergehen lassen musste.
Sie wurde mehrfach genäht – weil es der Zuhälterin nicht reichte, sie einmal als Jungfrau zu verkaufen. Vor allem asiatische Sex-Touristen glauben, durch eine Entjungferung ihr Leben verlängern zu können. Deshalb akzeptieren sie fast jeden Preis: 500 US-Dollar statt der üblichen 5, für die in Elendsvierteln die trostloseste Nummer zu haben ist.
Sie wollten und bekamen die Jüngste: „Ny“. Insgesamt viermal.
Inmitten der Perversion gab es Freier, die Mitleid mit Pros hatten. Pros bat sie, ihre Peiniger anzuzeigen. Einer alarmierte tatsächlich die Polizei. Es kam zu einer Razzia, doch die Zuhälterin hatte einen Tipp bekommen. „Sie knebelten mich, verbanden mir die Augen, versteckten mich“, sagt Pros. „Ich habe gebetet: ,Gott, wenn du mich siehst, hilf mir jetzt!‘ Als die Polizei weg war, wurden wir eilig in ein Auto gepackt und in ein anderes Bordell gebracht.“
Apathisch ließ sie weiter den Triebabbau schwitzender, stinkender Männer über sich ergehen. Verhütung, Kondome, Schutz vor Aids – daran war nicht zu denken. Zweimal wurde Pros schwanger. Bei ihrer
zweiten Zwangsabtreibung war sie bereits im vierten Monat. Als „es“ vorbei war, blieben höllische Schmerzen. „Da habe ich die Regeln gebrochen: Ich bat die Mer um einen Tag, um mich auszuruhen.“
Was dann im Detail passierte, darüber kann Pros bis heute nicht sprechen. Ihre beste Freundin wird es uns später erzählen: „Sie klammerte sich ans Bein der Zuhälterin, flehte sie um Erbarmen an, wenigstens dieses eine Mal. Doch die Mer geriet außer sich vor Zorn, griff nach einem scharfen Metallgegenstand – und stach Pros damit ins Auge.“
Pros sah nach kurzer Zeit so fürchterlich aus, dass selbst im schäbigsten Puff kein Freier mehr für sie bezahlen wollte. Ihr Auge erblindete nach und nach. Von nun an musste sie niedrigste Dienstmädchenaufgaben erledigen. Bis zu dem Tag, an dem wieder eine Razzia geplant und verpfiffen wurde. Weil Pros für ihre Peiniger wertlos geworden war, flüchteten sie ohne das Mädchen, überließen es seinem Schicksal.
Das Schicksal meinte es zum ersten Mal gut mit Pros: Sie kam in die Klinik des britischen Arztes James Gollogly (64), den alle nur „Dr. Jim“ nennen. Seine Armenklinik ermöglicht 5000 Kindern jährlich kostenlose Operationen. Dr. Jim kennt Ärzte in Europa und den USA. Gerade hat er einen Schönheitschirurgen gefunden, der Pros im Mai ein weiteres Stück ihres Gesichtes zurückgeben wird.
Es sind Nachrichten wie diese, die Pros aufblühen lassen. Stolz zählt sie auf, was sie mit Hilfe eines
Schulungsprogramms der „Somaly Mam Foundation“ in den letzten Monaten gelernt hat: Lesen, Schreiben, Nähen. „Vielleicht kann ich eines Tages in meinen Heimatort zurück und als Schneiderin arbeiten“, hofft sie.
Rache für all das erlittene Unrecht, ein Gerichtsprozess, steht nicht auf der Liste ihrer Zukunftswünsche. Pros glaubt nicht an eine Verurteilung, und die Vorstellung, ihre Peiniger wieder zu sehen, jagt ihr panische Angst ein. „Mein einziger Wunsch ist, dass niemand mehr auf mich herabschaut“, sagt sie leise. „Ich will einfach nur in Frieden und Freiheit leben.“
So können Sie helfen
„Ein Herz für Kinder“, die Hilfsorganisation von BILD und BILD am SONNTAG, unterstützt Somaly Mam und ihre Organisation
„AFESIP Kambodscha“ im Kampf gegen Menschenhandel und Kinderprostitution.
„Ein Herz für Kinder“, Konto-Nr. 0676767, Deutsche Bank Hamburg, BLZ 200 700 00, Stichwort: Kambodscha
Quelle mit Folterfoto:
http://www.bild.de/BILD/news/vermischte ... ochen.html
AFESIP (Agir pour les Femmes en Situation Précaire)
ist eine internationale Hilfsorganisation,
die 1997 von Somaly Mam gegründet wurde.
http://de.wikipedia.org/wiki/AFESIP
http://www.afesip.org
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