TAZ:
Streit um Prostitution vor Klimagipfel
Gratis-Sex für Delegierte
Eine Gruppe Kopenhagener Prostituierte bietet Delegierten des Klimagipfels Gratis-Sex an. Sie protestieren mit dieser Aktion gegen eine Postkarten-Kampagne der Stadt.
VON REINHARD WOLFF
Delegiertenausweis als Zahlungsmittel: Prostituierte. Foto: dpa
STOCKHOLM taz | Die Reklamekampagne ist gelungen. Wer von den Tausenden männlichen Besuchern des Klimagipfels in Kopenhagen es nicht gewusst haben sollte, dass Dänemark als letztes skandinavisches Land noch legale Prostitution zu bieten hat – spätestens jetzt dürfte es keinem mehr entgangen sein. „Prostituierte bieten gratis Sex an“, verbreiteten die internationalen Nachrichtenagenturen, vermeldeten Fox-News und CNBC und Print- und Onlinemedien weltweit.
Und das hat eine Gruppe von Prostituierten der dänischen Hauptstadt, die in der Gewerkschaft der Sexarbeiter „Sexarbejdernes Interesseorganisation“ (SIO) organisiert sind, tatsächlich versprochen. Das Kleingedruckte: Der Freier muss einen Delegiertenausweis des Klimagipfels und eine spezielle Postkarte präsentieren, welche die Stadt Kopenhagen allen 160 Hotels der Stadt geschickt hat, die Gipfelgäste beherbergen. Es ist diese Postkarte, welche die Sexarbeiterinnen in Rage gebracht hat.
„Nachhaltig sein: Keinen Sex kaufen!“, steht auf dieser. Absenderin der Postkarte ist die Stadt Kopenhagen und Oberbürgermeisterin Ritt Bjerregaard persönlich, die dann weiter schreibt: „Liebe Hoteleigentümer, wir möchten sie sehr bitten, keinen Kontakt zwischen Hotelkunden und Prostituierten zu vermitteln.“
„Das ist schlicht und ergreifend diskriminierend“, beschwerte sich die SIO-Sprechern Susanne Møller gegenüber der Netzzeitung Avisen.dk ob solcher Boykottaufforderung: „Ritt Bjerregaard missbraucht ihr Amt, wenn sie ihre Stellung dazu benutzt, um andere daran zu hindern, ihrer legalen Beschäftigung nachzugehen. Ich verstehe nicht, wie so etwas zulässig sein kann.“
Vom Gesichtspunkt der SIO ist die Aufregung durchaus verständlich. Wie jede große Konferenz mit vielen internationalen Gästen verspricht natürlich auch COP15 zusätzliche Laufkundschaft. Doch der Streit ist grundsätzlicherer Natur. Auch in Dänemark mehren sich nämlich die Stimmen, welche nach schwedischem und norwegischem Vorbild Prostitutionskunden kriminalisieren wollen. Ritt Bjerregaard und weite Teile ihrer sozialdemokratische Partei gehören mittlerweile zu den BefürworterInnen einer solchen Gesetzgebung. Und die Postkartenkampagne kann als Teil der Meinungsbildung für ein solches Verbot angesehen werden. Sie habe als Oberbürgermeisterin eine Verpflichtung für eine "saubere Stadt" erklärte Bjerregaard und sei aus ethischen Gründen grundsätzlich dagegen, Frauen für Sex kaufen zu können.
Susanne Møller und ihre SIO halten es dagegen für „verwerflich und unsachlich, dass die Kopenhagener Politiker den Klimagipfel als Plattform für ihre Hetze gegen Sexarbeiter ausnutzen“. Doch rechnet sie erst einmal weder aufgrund dieser Postkartenaktion, noch wegen des eigenen Versprechens, als Bezahlung für die „Sexarbeit“ die strittige Postkarte zu akzeptieren, mit einem massiven Einnahmeausfall: „Nein, eigentlich nicht“, gesteht sie. Und das ist nachvollziehbar. Denn dazu müssten die Kunden erst einmal in den Besitz einer der Postkarten kommen, die gerade mal an 160 Hotelbesitzer ging. Und sie müssten sich auch noch mit ihren offiziellen COP15-Delegiertenausweis outen.
So ist eher zu vermuten, dass diese Aktion auch noch zu einer kostenlosen Reklame für die Geschäfte von Kopenhagens Prostituierten beitragen kann. Sicher so gar nicht im Sinne der Initiatorin Ritt Bjerregaard.
Es gibt aber auch Befürchtungen, die „Gratis-Sex-Kamapgane“ könne zum Schaden vieler Prostituierter völlig missverstanden werden. „Das setzt das Gros der Strassenprostitierten regelrechten Gefahren aus“, meint Neil Stenbæk Bloem, linkssozialistischer kopenhagener Stadtrat. Denn vermutlich hätten viele potentielle Prostitutionskunden nur etwas von „Gratis-Sex“ gehört, das „Kleingedruckte“ aber übersehen und würden in den nächsten Tagen womöglich Prostituierte nun mit vielfacher Forderung nach Gratis-Sex konfrontieren. Was zu ernsten Konfliktsituationen führen könnte. SIO vertritt nämlich gerade einmal 60 der geschätzt rund 5500 bis 6000 Prostituierten.
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Original:
http://www.taz.de/nc/1/leben/alltag/art ... delegierte
Leserkommentare (10)
http://www.taz.de/1/zukunft/klimagipfel ... ntare/1/1/
@TAZ, REINHARD WOLFF
Wortwahl "Reklamekampagne" ist abschätzig gegenüber der jungen Sexworker Gewerkschaft
www.s-i-o.dk die über die Kampagne genau informiert:
www.cop15-prostitution.dk
Allein schon prostitutionsfeindliche Postkarten finanziert aus öffentlichen Geldern zu verteilen war schon eine "Reklamekampange"... Sowas konstruiert und manifestiert ein Opferimage, welches Sexworker faktisch schwächt und verletzlich macht und Trieb- oder Haßtäter geradezu anlockt.
(Das Kleingeduckte ist vergleichbar den von Gewinnspielen oder Gutscheinen, wo die Mitarbeiter des Herausgebers auch ausgeschlossen sind. Nicht wirklich erwähnenswert, es sei denn man fühlt sich genötigt, die Aktion mit allen Mitteln zu diskreditieren.)
Diese Gegen-Kampagne der organisierten Sexworker als Gefahr für die Straßenprostituierten anzusehen
wie es Neil Stenbæk Bloem, linkssozialistischer kopenhagener Stadtrat macht ist link. Für wie dumm hält er oder die ihn zitierenden Journalisten/Medien eigentlich die Frauen oder deren Kunden? So ein Satz entlarvt die herrschenden paternalistischen Vorurteile, die schon in den Köpfen "Opfer" produzieren.
Freie, selbstbestimmte Sexworker, die unter diesem hegemonialen Diskurs leiden, werten die Aktion als notwendige mediale Selbstverteidigung im prostitutionsfeindlichen Klima. Es wird keine sicher und gleichberechtigten Frauen geben, solange es die Sexworker nicht sind. Wenn man zur Sexarbeit nicht Ja sagen dürfen soll, wieviel wert ist dann ein Nein?
"vertritt nämlich gerade einmal ..." - Wieviele (freie) Journalisten oder Hartz-IV-Empfänger sind eigentlich gewerkschaftlich organisiert und verfügen über Interessenvertretung? Wieviele Sexarbeiter oder Journalisten arbeiten in autonomen bzw. sicheren Kooperativen?
"'saubere Stadt' erklärte Bjerregaard und sei aus ethischen Gründen grundsätzlich dagegen, Frauen für Sex kaufen zu können. " - Warum setzen sie 'saubere Stadt' in Anführungszeichen und versäumen dies bei "Frauen kaufen können".
Frauen werden in der Sexdienstleistungsbranche genausowenig "gekauft" wie etwa Anwälte, wenn sie einen Fall vermittelt bekommen oder jemand ihre Beratung in Anspruch nimmt !!! Sonst hätten die Frauen ja nach dem Akt ihren body nicht mehr ;-)
Der Taz und ihren JournalistInnen hätte ich eine emanzipatorischere Berichterstattung zugetraut.
Mit solidarischen Grüßen,
Marc
vom Sexworker-Forum
für vernetzte Sexworker in A - CH - D.
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