
lissi456 hat geschrieben:Also eine der Fragen ist, ob für spätere Probleme jgdl. Prost. verantwortlich ist. Ich lese schwerwiegendere Probleme heraus, da es genug Diskussionen und auch einzele direkte Aussagen dazu gibt inwieweit SW belastend ist/sein kann.
Nun ja, ich will die Möglichkeit eines erst im Jugend-/Erwachsenenalter erwobenen PTSD natürlich nicht generell ausschließen.
Allerdings sehe ich die von riccarda beschriebenen Hintergründe schon relativ häufig, und will mich selbst da keineswegs ausschließen.
Und bei solchen Konstellationen glaube ich persönlich nicht an eine Kausalkette in dem Sinn, dass die schlimme Kindheit zwar
für die Prostitution im Jugendalter ursächlich war, etwas später auftretende Probleme hingegen nur von der Prostitution
verursacht seien, ohne diese bei ansonsten gleicher Vorgeschichte also nicht aufgetreten wären.
In einem monokausal-linearen Deutungsversuch sehe ich da eine Rationalisierung, die in erster Linie dem
Sebstschutz dient, die aufgetretenen Psychoprobleme sollen rein durch äußere Erlebnisse erklärt werden, um sich nicht
der Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeitsstruktur (und ggf. diese mitbedingenden traumatischen
Kindheitserlebnissen) stellen zu müssen.
lissi456 hat geschrieben:Aoife, wenn für dich die Persönlichkeitsstruktur für spätere Probleme verantwortlich ist, bräuchte man doch gar nicht über ein sinnvolles Alter diskutieren.
Richtig - ich möchte sogar soweit gehen, dass der geldbringende Einsatz der eigenen Sexualität in manchen Fällen
geradezu heilsam sein kann - im Sinne eines empowerment die Erfahrung vermittelt (und zu verinnerlichen hilft), dass man
real gar nicht mehr so ausgeliefert ist, wie man das gefühlsmäßig aus der Kindheit mitbringt. Gerade das sehe ich ja als
das Risiko einer gesetzlichen Regelung, denjenigen, die SW in diesem Sinne nutzen können diese Möglichkeit zu entziehen (oder sie
zumindest zu kriminalisieren) halte ich für einen schwerwiegenden Nachteil, der ernsthaft gegen die natürlich auch ganz
klaren Vorteile einer entsprechenden Regelung abgewogen werden muß.
lissi456 hat geschrieben:Dann kann ich auch mit 40 J. in den Beruf einsteigen und es wäre sowieso alle Müh umsonst, da ich meine ersten 5 vers..ten Lebensjahre nicht wieder gut machen kann.
Doch - prinzipiell sehe ich das schon so - allerdings deutlich weniger negativ
Oder genau gesagt: Wertfrei.
Es ist nun einmal so wie es ist, natürlich können wir von "vers...t" sprechen und mit dem Finger auf einen Schuldigen
zeigen - aber wem hilft das? Deshalb halte ich ein reframing (das du ja bestimmt schon als solches erkannt hast) von
"disorders" nach "Besonderheiten", von (Unterordnungs-)"gestört" nach "selbstbestimmt" für sehr viel zielführender.
Den "Kern" unseres Wesens - und mag er anderen noch so pathologisch erscheinen - können wir grundsätzlich nicht
ändern. Und das nicht etwa, weil es keine technischen Möglichkeiten dazu gäbe, sondern weil wir das nicht
"wollen können", das wäre einer Selbstaufgabe gleichzusetzen. Weshalb bei solchen Versuchen massivste Widerstände
auftreten - natürlicher- und gesunderweise, denn ein (wie auch immer) funktionierendes System will nicht "ausgetauscht"
werden, nur weil das der Gesellschaft, dem industriellen Produktionsprozess, dem Therapeuten so besser gefallen würde.
Allerdings ist das wohl grundsätzlich so, einen Zusammenhang sehe ich weder mit dem Einstiegsalter noch mit "dem Beruf",
jedenfalls bezogen auf den "Beruf" keinen positiven Zusammenhang mit Problemen, denn:
lissi456 hat geschrieben:Ich müsste also mit schweren 'Problemen' rechnen. Also ich hoffe stark, dass dem nicht so ist!!!
Doch, das ist schon so. Zumindest ist das meine persönliche Erfahrung. Wobei ich ganz deutlich sagen muß, dass ich
mit meinen Problemchen sehr gut zurechtkomme. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, dass eine solide Umgebung mit
meinen Besonderheiten nicht wirklich zurechtkommt. Ich bin nicht grundlos nach 25jährigem Versuch in einem "guten Beruf"
zur Sexarbeit zurückgekehrt
Und aus dieser Erfahrung heraus bilde ich auch die Meinung, dass für ev. auftretende Probleme die Persönlichkeitsstruktur
unvergleichlich viel wichtiger ist als etwaige unangenehme Erlebnisse in der Sexarbeit. Weil ich eben erfahren habe, dass
diese Probleme im soliden Beruf sehr viel massiver kommen.
lissi456 hat geschrieben:Ich sehe schon einen Zusammenhang zwischen Familienverhältnisse (und wenn du willst Veranlagung) und jgdl. Prost.
Hmm - zuerst stolpere ich da mal über dein "wenn du willst"
Also: Ich habe "Veranlagung" im weitest denkbaren Sinn verwenden wollen, wollte das keinesfalls auf "Vererbung"
beschränkt wissen. Sondern nur der Tatsache Rechnung tragen, dass die Resilenz gegenüber traumatischen Erfahrungen
eine enorme interindividuelle Schwankungsbreite aufweist, "Trauma" also rein subjektiv ist.
Es gibt einfach Menschen, die auf ein Erlebnis, das Außenstehende als zweifelsohne "traumatisch" definieren würden,
sich einfach schütteln und weiterleben als sei nichts geschehen.
Und auch diejenigen, die eine Reaktion zeigen, reagieren bei weitem nicht immer gleich, oder schematisch.
Ich habe weiter oben "SW als empowerment" erwähnt, als krasses Gegenstück geistert zumindest in der analytischen
Literatur ja "SW als Wiederholungszwang" herum - auch wenn ich ganz klar sagen muß, real habe ich so etwas noch nie erlebt.
Aber auch unter denjenigen, die versuchen ihrer Sexualität zu entfliehen, beispielsweise indem sie in einen Orden eintreten,
oder auch nur indem sie fanatische Prostitutionsgegner werden, weil sie die Konfrontation mit der freier gelebten Sexualität
Anderer nicht aushalten können, sind mit Sicherheit viele sexuell Traumatisierte. Wenn also eine Ursache solch unterschiedliche
Folgen haben kann, dann muß einfach ein individueller Faktor dazukommen, und den habe ich mit "Veranlagung" gemeint.
lissi456 hat geschrieben:Ich sehe schon einen Zusammenhang zwischen Familienverhältnisse (und wenn du willst Veranlagung) und jgdl. Prost.
Das wollte ich hier überhaupt nicht ausschließen, sondern eher umgekehrt gerade damit argumentieren:
WENN es einen solchen Zusammenhang geben sollte, mit welchem Recht kann man dann alle später auftretenden
Probleme auf die "zu frühe" Prostitution schieben? Gerade dann muß man doch damit rechnen, dass dieses relativ spät in der
Entwicklung auftretende life event wohl eher untergeordnete Bedeutung haben dürfte. Und ein ev. nachweisbarer
statistischer Zusammenhang zwischen Psychoproblemen und jugendl. Prostitution kein kausaler ist,
sondern auf gemeinsame Ursachen zurückgeht. Und eben auch in der Diskussion berücksichtigen, dass die möglicherweise
wirklich sehr frühe Prostitution unter den gegebenen Umständen die bestmögliche Lösung sein könnte, so wenig wünschenswert
sie unter anderen Umständen auch wäre.
Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
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