Das Urteil des Hessischen VGH vom 31.01.2013 liegt jetzt veröffentlicht vor. Hier ist sie:
Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof 8. Senat
Entscheidungsdatum: 31.01.2013
Aktenzeichen: 8 A 1245/12
Dokumenttyp: Urteil
Quelle:
Normen: § 6 BauNVO, Art 297 Abs 1 StGBEG, § 2 VO d. RP Darmstadt z. Schutz d. Jugend u.d. öffentl. Anstandes in Frankfurt a.M.
Kein Verbot öffentlich nicht wahrnehmbarer Wohnungsprostitution
Leitsatz
§ 2 der Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt am Main ist bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die dort beschriebene Prostitutionsausübung, soweit es sich um sog. Wohnungsprostitution handelt, außerhalb der Toleranzzonen nur noch dann verboten ist, wenn sie nach außen in Erscheinung tritt und eine in dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2009 - 1 BvR 224/07 - definierte "milieubedingte Unruhe" befürchten lässt.
Verfahrensgang
vorgehend VG Frankfurt, 3. Februar 2012, Az: 5 K 4980/11.F, Urteil
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Februar 2012 – 5 K 4980/11.F – aufgehoben. Die Untersagungsverfügung der damaligen Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 22. September 2011 und ihr Widerspruchsbescheid vom 29. November 2011 werden aufgehoben.
Die Beklagte hat die in beiden Instanzen entstandenen Kosten zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Aufhebung einer Untersagungsverfügung der damaligen Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 22. September 2011 - 32.22.2 Wg -, mit der ihm unter Anordnung der inzwischen ausgesetzten sofortigen Vollziehung verboten worden ist, die Räumlichkeiten in seiner Liegenschaft A-Straße (Hinterhaus) in A-Stadt „als bordellartiger Betrieb zur Verfügung zu stellen“.
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Im Zuge von Ermittlungen des Ordnungsamts der Beklagten wurde Anfang Januar 2011 festgestellt, dass in vom Kläger vermieteten, insgesamt 44,52 m² großen Räumen im Hinterhaus auf seinem Hausgrundstück A-Straße ein „XX-Massagestudio“ betrieben wurde, in dem gegen Entgelt sexuelle Handlungen mehrerer spärlich oder gar nicht bekleideter Frauen angeboten werden (sog. Handentspannung, auch den Genitalbereich erfassende Ganzkörpermassagen). Für diese Zwecke standen in dem freistehenden Hinterhaus drei – jeweils mit Bett, Nachttisch und Schrank ausgestattete – Zimmer zur Verfügung, außerdem befanden sich im Haus sanitäre Einrichtungen und eine Kochnische. Auf dem Hausgrundstück des Klägers, das sich etwa 200 Meter von zwei Kindertagesstätten und etwa 100 Meter von einer Realschule entfernt in einem bauplanungsrechtlich als Mischgebiet ausgewiesenen Quartier befindet, in dem auch ein erheblich größeres Betriebsgelände der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH sowie ein Müllheizkraftwerk einer anderen Eigengesellschaft der Beklagten liegen, fanden sich keine von außen sichtbaren Hinweise auf die Nutzungsart des Hinterhauses. Auf der gegenüberliegenden Seite der Weidenbornstraße grenzt ein als allgemeines Wohngebiet ausgewiesenes Quartier an, in dem sich auch die erwähnte Realschule befindet.
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Recherchen des Ordnungsamts ergaben, dass für das „Chantal-Massagestudio“ unter Angabe von Lage und Kontaktdaten auf mindestens einer Werbetafel im Bereich der Frankfurter Hauptwache und im Internet auf der Homepage „
www.xx-massage-studio.de“ und in dem Portal „
www.xx.de“ geworben wurde. Dabei wurden im Internet neben Bildern und Vornamen auch Körpermaße der im Studio tätigen Frauen veröffentlicht, Einzelheiten der angebotenen Massagepraktiken unter Angabe zeitlich gestaffelter Festpreise mitgeteilt und bestimmte Dienste ausgeschlossen („Kein GV und kein franz.“).
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Die angegriffene, auf § 11 HSOG und auf § 1 Abs. 2 der Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in A-Stadt (Sperrgebietsverordnung) „vom 23.12.1986, in ihrer derzeit gültigen Fassung" gestützte Untersagungsverfügung wurde im wesentlichen auf die Feststellung gestützt, die in den vom Kläger angemieteten Räumlichkeiten tätigen Prostituierten verstießen durch ihr Verhalten gegen die öffentliche Sicherheit, da die Prostitutionsausübung in einem Massagesalon in diesem Bereich durch die Sperrgebietsverordnung untersagt sei und jeder Verstoß gegen eine Rechtsnorm zugleich eine konkrete Gefahr im Sinne einer bereits eingetretenen und fortwirkenden Störung der öffentlichen Sicherheit gemäß § 11 HSOG darstelle. Der Kläger sei als Handlungsstörer zu betrachten und als solcher nach § 6 Abs. 1 HSOG polizeirechtlich verantwortlich für die von der verbotenen Prostitutionsausübung ausgehende Gefahr. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid vom 22. September 2011 Bezug genommen.
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Den mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 12. Oktober 2011 am folgenden Tage eingelegten Widerspruch gegen diese Untersagungsverfügung hat der Kläger unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung, insbesondere den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07 –, im wesentlichen mit der Auffassung begründet, nach dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 könne unter Berücksichtigung der gewandelten gesellschaftlichen Ansichten die bloße Prostitutionsausübung außerhalb einer in der Sperrgebietsverordnung ausgewiesenen Toleranzzone nicht mehr ohne Weiteres als Störung der öffentlichen Sicherheit angesehen werden. Vielmehr müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die konkreten Umstände der Prostitutionsausübung den erforderlichen Jugendschutz beeinträchtigten, was bei dem vom Kläger vermieteten Objekt nicht der Fall sei. Denn der Betrieb trete nicht nach außen in Erscheinung und werde lediglich von Kunden aufgesucht, die größten Wert auf Diskretion legten. Die Umgebung und Umgebungsbebauung sei nicht durch Einrichtungen für Jugendliche geprägt, die Lage der Räume im hinteren Teil des Grundstücks schließe eine wie auch immer geartete Kontaktaufnahme mit Jugendlichen aus. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Widerspruchsbegründung der Bevollmächtigten des Klägers vom 1. November 2011 (Kopie Bl.14 ff. GA) verwiesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2012 hat die Oberbürgermeisterin der Beklagten den Rechtsbehelf zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die in dem Hinterhaus des Klägers ausgeübte Prostitution verstoße gegen die Sperrgebietsverordnung und sei deshalb als Störung der öffentlichen Sicherheit anzusehen. Selbst wenn man für eine Untersagung der Prostitutionsausübung an dieser Stelle darüber hinaus noch eine Beeinträchtigung des Jugendschutzes verlangen wolle, sei diese Voraussetzung jedenfalls dadurch erfüllt, dass die Kinder und Jugendlichen, die die in der Gegend befindlichen Kindertagesstätten und die nahe gelegene Realschule besuchten, aufgrund der im Internet und auf zumindest einer Werbetafel im Stadtgebiet verbreiteten Werbung für das Massagestudio durchaus von dessen Existenz Kenntnis nehmen könnten.
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Seine am 23. Dezember 2011 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main erhobene Klage gegen diese Bescheide hat der Kläger unter Vertiefung seines Vorbringens im Widerspruchsverfahren mit der Auffassung begründet, aus den eigenen Ermittlungen der Beklagten ergebe sich, dass der beanstandete Betrieb vollkommen unauffällig in einem kleinen Gebäude aufgenommen worden sei. Die dort ausgeübte prostitutive Tätigkeit beschränke sich auf die so genannte Wohnungsprostitution und bewege sich am unteren Ende einer großen Palette des einschlägigen Angebots. In den Räumen seien höchstens drei Prostituierte gleichzeitig tätig. Die Lage des Objekts im hinteren Grundstücksteil schließe eine zufällige Begegnung mit Jugendlichen aus. Das Gebäude stelle sich von außen als Wohnhaus war. Auf die seitens der Beklagten beanstandeten Werbemaßnahmen komme es nicht an, weil sie unabhängig von der Lage des Betriebs innerhalb oder außerhalb einer Toleranzzone allgemein zulässig seien.
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Mit Urteil vom 3. Februar 2012 – 5 K 4980/11.F – hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die angefochtene Untersagungsverfügung beruhe auf einer nach wie vor gültigen Ermächtigungsgrundlage in Art. 297 EGStGB. Der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei zu entnehmen, dass auch das Prostitutionsgesetz daran nichts geändert habe. Darüber hinaus habe die Beklagte im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt, dass sich in der Nähe der Liegenschaft des Klägers zwei Kindertagesstätten und eine Realschule befinden. Durch einen Prostitutionsbetrieb werde in das durch Bebauungsplan als Mischgebiet ausgewiesene und auch tatsächliche so genutzte Stadtviertel Unruhe hineingetragen. Wegen weiterer Einzelheiten der Urteilsbegründung und des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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Seine mit Beschluss des Senats vom 4. Juni 2012 - 8 A 499/12.Z - wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung gegen dieses Urteil hat der Kläger mit einem am 11. Juni 2002 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 6. Juni 2012 mit einer Bezugnahme auf die Begründung seines Zulassungsantrags begründet.
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Er beantragt,
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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 3. Februar 2012 – 5 K 4980/11.F – die Untersagungsverfügung der Beklagten vom 22. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2011 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie regt an, das Regierungspräsidium Darmstadt als Verordnungsgeber der Sperrgebietsverordnung förmlich am vorliegenden Verfahren zu beteiligen und vertieft ihre Ausführungen in der angefochtenen Untersagungsverfügung und im Widerspruchsbescheid. Sie weist darauf hin, dass der Gesetzgeber sich im Zuge der Beratungen zum Prostitutionsgesetz ausdrücklich dafür entschieden habe, Art. 297 EGStGB in seiner damaligen Fassung beizubehalten. Zwar werde ein Normverständnis dieser Vorschrift, wonach jede Ausübung der Prostitution zugleich den öffentlichen Anstand verletzte, dieser Rechtsnorm offensichtlich nicht gerecht, weil sonst jegliche den Verordnungsgeber lenkende und seine Entscheidungsbefugnis eingrenzende Wirkung verloren ginge. Der Schutz des öffentlichen Anstandes bezwecke nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht die Wahrung der allgemeinen Sittlichkeit. Die Legalisierung der Prostitutionsausübung im zivil- und sozialversicherungsrechtlichen Bereich und die Einschränkung der Strafbarkeit der Prostitution schlössen es aber ebenso wenig wie der Wegfall des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit aus, dass die Prostitutionsausübung in bestimmten Erscheinungsformen mit damit einhergehenden sozialtypischen Begleiterscheinungen namentlich mit Blick auf sensible Gemeindegebiete - in einem veräußerlichten Verständnis der Sozialverträglichkeit - gegen den öffentlichen Anstand verstoßen könne. Deswegen sei die Festsetzung von Sperrbezirken für die Prostitutionsausübung in Einklang mit den tangierten Grundrechten der Betroffenen nach wie vor zulässig. Räumliche Ausübungsverbote für die Prostitution seien ein geeignetes und erforderliches Mittel zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands. Dies gelte auch für die sog. Wohnungsprostitution.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 10. (bzw. 11.) und 30. Juli 2012 und die Erwiderung im Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 31. August 2012 sowie auf die von beiden Beteiligten im Berufungsverfahren vorgelegten Pläne, Luftaufnahmen und weiteren Unterlagen Bezug genommen.
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Dem Senat liegen die die streitige Untersagungsverfügung betreffenden Behördenakten der Beklagten (ein Ordner) vor. Sie sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
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Der Anregung der Beklagten, das Regierungspräsidium Darmstadt als Normgeber der Sperrgebietsverordnung förmlich am vorliegenden Verfahren zu beteiligen, hat der Senat nicht entsprochen. Denn anders als bei der abstrakten (sog. prinzipalen) Normenkontrolle (vgl. §§ 47 Abs. 2 S. 3 und 4 VwGO, 77, 82 Abs. 1, 2 und 4 BVerfGG, 43 Abs. 4 StGHG) ist bei der hier durchzuführenden inzidenten Normenkontrolle keine förmliche Beteiligung Dritter, auch nicht von Organen, Behörden oder Gerichten der juristischen Person, der die normgebende Institution angehört, vorgesehen. Da der Senat im vorliegenden Berufungsverfahren bezüglich der Sperrgebietsverordnung als Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Verwaltungsakt - anders als in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO - keine Verwerfungskompetenz hat, die Rechtsnorm also nicht mit Allgemeinverbindlichkeit für unwirksam erklären, sondern allenfalls im Einzelfall verfassungs- oder bundesrechtskonform auslegen kann, sind die Interessen des Landes Hessen bzw. des Regierungspräsidiums als erlassender Behörde nicht derart intensiv berührt, dass eine notwendige oder auch nur einfache Beiladung des Landes in Betracht zu ziehen wäre (vgl. § 65 Abs. 1 und 2 VwGO). Denn die inzidente, auf den jeweiligen Anwendungsfall bezogene Kontrolle einer anzuwendenden Rechtsnorm betrifft den Normgeber nur reflexartig und hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf den formellen Bestand der überprüften Rechtsnorm.
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Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht begründet worden (§ 124a Abs. 3 S. 3 bis 5, Abs. 6 VwGO).
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Dass sich die innerhalb der Begründungsfrist mitgeteilten Berufungsgründe in einer Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsantrags erschöpfen, ist hier unschädlich. Zwar kann die Begründung eines Zulassungsantrags eine (gänzlich fehlende) Berufungsbegründung nicht ersetzen; enthält sie jedoch – wie hier – alle wesentlichen Beanstandungen der angefochtenen Entscheidung und genügt sie damit selbst den Anforderungen an eine Berufungsbegründung, kann es mit einer schriftlichen Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsantrags innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 124a Abs. 3 S. 4, Abs. 6 S. 3 VwGO sein Bewenden haben (Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. Rn. 43 zu § 124a m.w.N.).
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Die Berufung ist auch begründet. Denn die angefochtene Untersagungsverfügung ist ohne hinreichende Ermächtigungsgrundlage ergangen; sie ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass sie und der sie bestätigende Widerspruchsbescheid antragsgemäß aufzuheben sind (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
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Die angegriffene Untersagungsverfügung beruht auf der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten - Prostitutionsgesetz - vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) erlassenen Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt - Sperrgebietsverordnung - vom 23. Dezember 1986 (StAnz. 1987 S.100)/27. Februar 1991 (StAnz. S.S. 743) zuletzt geändert durch Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 21. Januar 1993 (StAnz. S. 404). Die Sperrgebietsverordnung enthält in § 1 ein allgemeines Prostitutionsverbot für bestimmte Frankfurter Stadtgebiete mit in den §§ 3 und 4 geregelten Ausnahmen (sog. Toleranzzonen). Für das übrige Stadtgebiet, in dem das hier betroffene Grundstück des Klägers liegt, trifft § 2 Sperrgebietsverordnung folgende Regelung:
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In dem übrigen Stadtgebiet ist es mit Ausnahme der in den Abs. 3 und 4 bezeichneten Gebiete verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, in öffentlichen Anlagen und an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, sowie in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (unter anderem in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.
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Die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Sperrgebietsverordnungen in Art. 297 Abs. 1 EGStGB hat folgenden Wortlaut:
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Die Landesregierung [bzw. hier das von ihr aufgrund Art. 297 Abs. 2 EGStGB dazu ermächtigte Regierungspräsidium] kann zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
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1. für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu fünfzigtausend Einwohnern,
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2. für Teile des Gebiets einer Gemeinde über zwanzigtausend Einwohner oder eines gemeindefreien Gebiets,
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3. unabhängig von der Zahl der Einwohner für öffentliche Straßen, Wege, Plätze, Anlagen und für sonstige Orte, die von dort aus eingesehen werden können, im ganzen Gebiet oder in Teilen des Gebiets einer Gemeinde oder eines gemeindefreien Gebiets
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durch Rechtsverordnung verbieten, der Prostitution nachzugehen. Sie kann das Verbot nach S. 1 Nr. 3 auch auf bestimmte Tageszeiten beschränken.
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Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz hat allerdings eine Beschränkung der Ermächtigungsreichweite bei der Anwendung dieser Vorschrift zur Folge, die im vorliegenden Fall entscheidungsrelevant ist. Zwar macht das Prostitutionsgesetz, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem im Zulassungsantrag zitierten Kammerbeschluss vom 28. April 2009 - 1 BvR 224/07 - (EuGRZ 2009, 265 = NVwZ 2009, 905 = juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 – 4 C 6.02 –, NVwZ 2004, 743 = juris Rn. 9 m.w.N.) festgestellt hat, die weiterhin gültige Verordnungsermächtigung in Art. 297 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EGStGB nicht obsolet;
dieses Gesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verbieten es jedoch, bei der Anwendung dieser Bestimmung allein ihre Ausübung außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen ohne konkrete Bewertung daraus resultierender schädlicher Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen (BVerf., a.a.O.):
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„Wie bereits das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, ist der im Rahmen der Beratungen zum Prostitutionsgesetz gemachte Vorschlag, Art. 297 EGStGB ersatzlos zu streichen (vgl. Gesetzentwurf der PDS-Fraktion, BT-Drucks 14/4456, S. 3), nicht Gesetz geworden. Die Bundesregierung - und ihr folgend auch der Bundestag und der Bundesrat - haben auch im Folgenden bewusst davon abgesehen, eine Vorlage zur Aufhebung von Art. 297 EGStGB einzubringen (vgl. BT-Drucks 16/4146, S. 41 f.). Der Gesetzgeber hat sich mit dem Prostitutionsgesetz darauf beschränkt, zum einen die Rechtswirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt ( § 1 ProstG), die fehlende Abtretbarkeit des Anspruchs und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen diesen ( § 2 ProstG) und den Zugang zur Sozialversicherung trotz des nur eingeschränkten Weisungsrechts gegenüber abhängig beschäftigten Prostituierten ( § 3 ProstG) zu regeln sowie zum anderen die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei einzuschränken (Art. 2 ProstG). Dabei hat er zwar keine ausdrückliche gesetzliche Regelung dahin gehend getroffen, dass das Ausüben der Prostitution nicht sittenwidrig sei. Er ging ausweislich der Gesetzesbegründung jedoch davon aus, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen (vgl. BT-Drucks 14/5958, S. 4, 6). Auch die Rechtsprechung nimmt mittlerweile an, dass die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 2002 - 6 C 16/02 -, NVwZ 2003, S. 603 <604>; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Dezember 2008, 1 S 2256/07 -, ESVGH 59, 243 [juris] Rn. 59 m.w.N.).“
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Dieses geänderte Normverständnis hat die Auswirkung, dass eine öffentlich nicht wahrnehmbare Prostitutionsausübung, wie sie hier vorliegt, nicht mehr durch den Vollzug einer Sperrgebietsverordnung unterbunden werden kann, die keine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution voraussetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt (a.a.O., juris Rn. 16):
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„Ein Normverständnis von Art. 297 EGStGB, wonach jede Ausübung der Prostitution zugleich den öffentlichen Anstand verletzte, würde der Vorschrift offensichtlich nicht gerecht. Ansonsten würde diese Tatbestandsvoraussetzung für den Erlass einer Sperrbezirksverordnung jegliche den Verordnungsgeber lenkende und seine Entscheidungsbefugnis eingrenzende Wirkung verlieren. Mit dem Schutz des öffentlichen Anstandes wird nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht die Wahrung der allgemeinen Sittlichkeit bezweckt. Verstanden als Norm, die allein der Durchsetzung von herrschenden Moralvorstellungen dient, wäre die Vorschrift in der Tat verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Fachgerichte verstehen demgegenüber Art. 297 EGStGB in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als eine Norm auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr mit der Zielsetzung, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant sei, nach außen in Erscheinung trete und das Allgemeinwohl beeinträchtigen könne. Handlungen und Zustände, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben, könnten Belange des Allgemeinwohls insbesondere dann beeinträchtigen, wenn durch einen Öffentlichkeitsbezug andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollten, erheblich belästigt würden; dies gelte insbesondere für die Begleitumstände der Prostitution, die Dritte in schutzwürdigen Interessen berührten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Dezember 2008 - 1 S 2256/07 -, juris, Rn. 61).
Insoweit findet die Auffassung des Beschwerdeführers, der Schutz des öffentlichen Anstandes gründe auf Moralvorstellungen, keinen Beleg in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Vielmehr haben diese - auch schon vor Erlass des Prostitutionsgesetzes - den unbestimmten Rechtsbegriff des öffentlichen Anstandes dahingehend konkretisiert, dass der Erlass einer Sperrbezirksverordnung zum Schutze des öffentlichen Anstandes gerechtfertigt sein kann, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 19. Februar 1990 - 11 N 2596/87 -, NVwZ-RR 1990, S. 472; Urteil vom 31. Oktober 2003 - 11 N 2952/00 -, NVwZ-RR 2004, S. 470 <471>; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 11 KN 4073/01 -, juris, Rn. 45 ff.) und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und ‚milieubedingte Unruhe‘, wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. August 1978 - I 2576/77 -, DÖV 1978, S. 848 <850>; Urteil vom 15. Dezember 2008, a.a.O. Rn. 72 m.w.N.; Hessischer VGH, Beschluss vom 19. Februar 1990, a.a.O., S. 472).“
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Im Lichte dieser Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist § 2 2. Hs. Sperrgebietsverordnung bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die dort beschriebene Prostitutionsausübung außerhalb der Toleranzzonen nur noch dann verboten ist, wenn sie nach außen in Erscheinung tritt und eine in dem zitierten Kammerbeschluss definierte „milieubedingte Unruhe“ befürchten lässt. Beides ist in dem hier zu entscheidenden Einzelfall offensichtlich nicht gegeben.
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Dass bei Erlass der Sperrgebietsverordnung oder seither vom Verordnungsgeber das bauplanungsrechtlich als Mischgebiet ausgewiesene Quartier, in dem sich das Hausgrundstück des Klägers befindet, auf seine Empfindlichkeit für derartige „milieubedingte Unruhe“ überprüft worden ist, ist weder von der Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich.
Da in Mischgebieten neben Wohn-, Geschäfts- und Bürogebäuden (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BauNVO) bauplanungsrechtlich auch „sonstige Gewerbebetriebe“ und sogar „Vergnügungsstätten … in den Teilen des Gebiets, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind“, ausnahmsweise auch außerhalb dieses Teilgebiets zulässig sind (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 und 8, Abs. 3 BauNVO), hätte für den Verordnungsgeber spätestens nach der o.a. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Veranlassung bestanden, das Quartier auf die Gebietsverträglichkeit von Wohnungsprostitution und seine weitere Einbeziehung in die Sperrzone für derartige Formen gewerblich angebotener Sexualpraktiken zu untersuchen.
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Eine solche Überprüfung hätte nach Auffassung des Senats zwangsläufig ergeben, dass zumindest der Teil des Quartiers, in dem sich das Hausgrundstück des Klägers befindet, als Toleranzzone für Wohnungsprostitution in der jetzt dort betriebenen Weise hätte ausgewiesen werden können und müssen.
Denn wie der Kläger zu Recht hat vortragen lassen, liegt keinerlei Anhaltspunkt dafür vor, dass die Wohnungsprostitution in den Räumen seines der Straße abgewandten Hinterhauses ohne jeden Hinweis auf die konkrete Nutzung des Gebäudes und mit – wegen der beschränkten Zahl der dort tätigen Prostituierten – geringem Publikumsverkehr zu Konflikten mit der Umgebung führen könnte, die als Störung des öffentlichen Anstands im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden könnten. Auch der Jugendschutz wird durch die untersagte Wohnungsprostitution an dieser Stelle nicht tangiert, denn sie ist vom öffentlichen Straßenraum aus nicht wahrnehmbar und entfaltet auch - von der ortsfernen Werbung im Internet und auf einer Werbetafel im Stadtgebiet abgesehen - keinerlei Außenwirkung. Die beiden Kindertagesstätten und die Realschule sind vom Grundstück des Klägers so weit entfernt, dass die von außen wahrnehmbaren Begleiterscheinungen der Prostitutionsausübung - An- und Abfahrt von Kunden - den dort betreuten Kindern und Jugendlichen auf ihren Wegen von und zu den besuchten Einrichtungen allenfalls als solche auffallen könnten, wenn sie von der Nutzungsart des Hinterhauses des Klägers anderweitig informiert werden, etwa durch die besagten Werbemaßnahmen des Massagesalons. Abgesehen davon, dass jedenfalls die in den Kindertagesstätten betreuten Kinder von dieser Werbung kaum erreicht werden dürften, verfolgt der Gesetzgeber mit der Ermächtigung in Art. 297 EGStGB gar nicht den Zweck, Jugendliche vor jeder Kenntnisnahme von dem Phänomen der Prostitution zu bewahren, was bei realistischer Betrachtungsweise in Bezug auf die in erster Linie für eine zufällige Kenntnisnahme von der Prostitutionsausübung im „C.-Massagestudio“ in Betracht kommenden Realschülerinnen und Realschüler auch gar nicht möglich wäre. Der VGH Baden-Württemberg hat dazu in einem ähnlich gelagerten Fall mit Urteil vom 15. Dezember 2008 – 1 S 2256/07 – (juris Rn. 80) überzeugend Folgendes ausgeführt:
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„Wegen seiner Randlage kann das Areal der ‚H.’schen Mühle‘ ohne Gefährdung der Schutzgüter des Art. 297 EGStGB zum Zwecke der Prostitution genutzt werden. Denn eine belästigende Außenwirkung, die mit der Verordnung abgewehrt werden soll, ist dort jedenfalls dann nicht zu befürchten, wenn dieser - wie allerdings geboten – im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durch bauliche Maßnahmen – und somit auf objektive, nicht vom jeweiligen ‚Betriebskonzept‘ abhängige Weise – wirksam begegnet wird. So kann mit der Wiederherstellung der früheren wegemäßigen Erschließung des Mühlenareals durch den Neubau einer Brücke eine weitgehende Abschottung des Gebiets erreicht werden. Zu diesem Schluss ist im Übrigen auch der Petitionsausschuss des Landtags gelangt, der sich aufgrund der Petition einer Bürgerinitiative gegen die Errichtung eines Bordells mit der Örtlichkeit vertraut gemacht und festgestellt hat, dass eine Beeinträchtigung der Bewohner durch das Vorhaben der Antragsteller nahezu ausgeschlossen sei (LT-Drs. 13/5035 S. 9 <12>). Zudem lässt sich ein tragfähiger Unterschied zum dem als Toleranzzone ausgewiesenem Gewerbegebiet „S.“ nicht erkennen. Dieses Gebiet ist durch die Straßenführung ebenfalls abgeschieden. Soweit dort durch die benachbarte Bebauung ein gewisser Kontakt zu dem durch die Verordnung geschützten Personenkreis besteht, ist dieser dem der ‚H.‘schen Mühle‘ vergleichbar. Das Gewerbegebiet ‚S.‘ liegt in der Nähe eines Sportplatzes, während nicht weit von der ‚H.‘schen Mühle‘ sich Wohnnutzung befindet. Schließlich dringt der Hinweis auf den Schutz der Jugend nicht durch. Es ist nicht ersichtlich, dass Kinder und Jugendliche, die die B. Talstraße als Schulweg benutzen, durch ein auf dem anderen Ufer der W. gelegenes Bordell in einer für den Schutzzweck des Art. 297 EGStGB relevanten Weise mit der Prostitution konfrontiert werden können. Allein das Wissen um eine entsprechende Nutzung eines als solchen nicht zu übersehenden Gebäudekomplexes reicht nicht aus.“
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Dass die in erster Linie „gefährdeten“ Schülerinnen und Schüler der nahe gelegenen L.-Realschule bei Kenntnisnahme von der Werbung für das „C.-Massagestudio“ seelischen Schaden nehmen könnten, ist auszuschließen, da Kinder und Jugendliche in dieser Altersgruppe – zumal in einer Großstadt wie Frankfurt – jederzeit durch allgemein zugängliche Quellen und geradezu zwangsläufig mit Prostitution konfrontiert werden und sich im Zuge ihres Reifeprozesses mit diesem mittlerweise gesellschaftlich als unvermeidlich akzeptierten Phänomen auch auseinandersetzen sollten.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Beklagte als letztlich unterliegende Beteiligte zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO). Insbesondere hat die Rechtssache revisionsrechtlich keine grundsätzliche Bedeutung, weil die mit der bundesrechtlichen Verordnungsermächtigung in Art 297 EGStGB verbundenen Rechtsfragen durch die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind.
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Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit dieses Urteils und die Abwendungsbefugnis des Klägers beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 9, 711 ZPO.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de ... &case=save
Kasharius wünscht gute Nacht
