Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Wenn ihr etwas über Events erfahrt, die für eure KollegInnen von Interesse sein könnten - Hier rein damit!
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Ariane
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Beitrag von Ariane »

"Hartz-IV-Chor" war übrigens eine interessegeleitete und mediatisierte griffige Zuschreibung, nicht die Eigen-Kreation von Volker Lösch. Die Medien lieben eben Schlagwörter und man zitiert sich eben gegenseitig.
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Arum
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Beitrag von Arum »

Aufstand der Huren

SCHAUBÜHNEVolker Lösch inszeniert „Lulu – Die Nuttenrepublik“ mit Schauspielern und einem Chor von Sexarbeiterinnen




http://www.tagesspiegel.de/zeitung/aufs ... 56856.html
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

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Marc of Frankfurt
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Termine

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Premiere 11.12., 20 Uhr

Vorstellungen 13., 14. und 15.12., jeweils 20 Uhr





Nachtrag:

Manifest der Muschi-Partei

www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=96858#96858





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 09.04.2011, 21:50, insgesamt 1-mal geändert.

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Termine

Beitrag von ehemaliger_User »

Die Nuttenrepublik an der Schaubühne
Termine
11.12.2010, 20.00 Uhr
13.12.2010, 20.00 Uhr
14.12.2010, 20.00 Uhr
15.12.2010, 20.00 Uhr
20.01.2011, 20.00 Uhr
21.01.2011, 20.00 Uhr
22.01.2011, 20.00 Uhr
23.01.2011, 20.00 Uhr

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Marc of Frankfurt
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Presse Vorberichte

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Presseberichte:

"Wie viel Prostitution steckt im Bürgertum?"
Wedekinds "Lulu" als "Nuttenrepublik" an der Berliner Schaubühne



Regisseur Volker Lösch im Gespräch mit Susanne Burkhardt
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1338389/

Mit echten Sexarbeiterinnen auf der Bühne macht Volker Löschs Inszenierung "Lulu - Die Nuttenrepublik" schon vorab Schlagzeilen. Er will im besten Sinn provozieren und deshalb die Menschen in der Berliner Schaubühne zu Wort kommen lassen, "die was zu erzählen haben".


Stephan Karkowsky: Frank Wedekinds Bühnenstück "Lulu" entstand vor 100 Jahren - ein erotische Groteske, ein Panoptikum der Berliner Halbwelt und eine Anklage der Doppelmoral des Bürgertums. Für die Berliner Schaubühne adaptiert hat es nun Volker Lösch, ein Regisseur, der am liebsten Laiendarsteller auf die Bühne stellt, mit Vorliebe aus gesellschaftlichen Randgruppen. Diesmal eine Reihe von Sexarbeiterinnen. Am Samstag ist Premiere. Susanne Burkhardt hat während der Proben mit Lösch über seine Inszenierung gesprochen, und als Erstes hat Lösch hat ihr dabei verraten, ob man die Motive der literarischen Lulu mit denen von echten Prostituierten gleichsetzen kann.

Volker Lösch: Wir untersuchen jetzt einfach aufgrund der Verbindung der Biografien, Geschichten von Sexarbeiterinnen und dem, was Lulu macht, ob die Freier, die am Ende des Stückes im fünften Akt auf Lulu treffen, in ihren Verhaltensweisen, in ihren Beziehungen zu Lu so sehr viel anders sind als die Männertypen, die am Anfang auftauchen, also wie viel Prostitution steckt im Bürgertum oder in der Bürgerlichkeit.

Und andere Frage, anders herum, das ist auch sehr interessant, auch aufgrund der Geschichten, die die Frauen erzählen, wie viel Bürgerlichkeit oder wie viel bürgerliche Träume oder wie viel Sehnsucht nach Bürgerlichkeit haben denn Prostituierte. Und das durchdringt sich wechselseitig, ist bei Wedekind angelegt, und wir untersuchen es, stellen es auf den Prüfstand.


Susanne Burkhardt: Das ist ja ein von Ihnen gern gewähltes Mittel, dass sie sich einen Klassiker nehmen, eine Geschichte erzählen mit professionellen Darstellern, dass sie sich dann Betroffene oder ...

Lösch: Soziale Gruppen ...


Burkhardt: Laiengruppen, soziale Gruppen als Chor dazutun, das gab es ja bei, um nur einem Beispiel zu nennen, Gerhard Hauptmann "Die Weber". Da haben Sie das mit einem Chor von Hartz-IV-Empfängern gemacht. In "Lulu" oder "Die Nuttenrepublik", Sie haben es gerade schon angesprochen, sind es neben den Schauspielern dann auch Sexarbeiterinnen, also Frauen, die mit Sex oder mit Sexarbeit ihr Geld verdienen. Wieso ist es Ihnen so wichtig, echte Betroffene auf die Bühne zu stellen? Trauen Sie den künstlerischen Mitteln des Theaters nicht?

Lösch: Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich glaube, es gibt auch keine unechten Betroffenen, es gibt nur Betroffene, und die können erst mal aus erster Hand Geschichten erzählen. Ich lebe natürlich auch davon und mein Team lebt davon auch, dass wir am Anfang sehr viele Gespräche führen, also dass wir journalistisch arbeiten, und dass wir aufgrund dieser Gespräche ein unglaublich reichhaltiges Material zusammentragen, welches von Spezialistinnen, was Liebesbeziehungen, erotische Beziehungen, Sexbeziehungen zwischen Männern und Frauen betrifft, stammen. Es gibt keine größeren Expertinnen auf diesem Gebiet als Sexarbeiterinnen, und die können einem erst mal sehr, sehr viel dazu erzählen, können anhand ihrer Geschichten das Material gegenwärtig aufladen und können das Material, ohne es zu beschädigen, erweitern eigentlich.

Man kann das Stück natürlich so spielen, wie es da ist, aber man kann es natürlich auch anreichern, man kann es mit heutigen Assoziationen versehen, um es reicher zu machen, nicht um es schwächer zu machen, um es aufzuladen, um es ins Verhältnis zu setzen zum Heute, funktioniert der Text noch oder funktioniert er nicht. Man kann natürlich sagen, das kann ich mir auch denken dabei, ich guck zu und denk mir das Ganze selber dabei, nur die Erfahrungen, die da geschildert werden, jetzt an unserem Abend, anhand der erlebten Geschichten, sind so interessant, dass man fast einen eigenen Abend draus machen könnte. Man kann natürlich auch beide Geschichten verbinden und geht, glaube ich, dann mit einem reicheren Ergebnis raus, als wenn man es jetzt so spielt, wie es da steht.


Burkhardt: Elfriede Jelinek hat ein ähnliches Thema behandelt, also das Thema sexuelle Ausbeutung von Frauen in ihrem Stück über Tiere, und da hat sie einen Kunstgriff gewählt, indem sie Protokolle, Abhörprotokolle von der Polizei, wo es um Frauenhandel geht, um den direkten Verkauf von Frauen oder auch das Ordern von Frauen, aufgegriffen hat und in eine neue Sprache gebracht hat und das dann eine Frau erzählen lässt. Damit hat sie sich natürlich aus dem möglichen Vorwurf, voyeuristisch solche Texte darzustellen, ganz gut entzogen. Sie laufen diesem Vorwurf natürlich ziemlich oft in die Arme, oder?

Lösch: Also ein Voyeur ist ja jemand, der nicht dabei gesehen werden möchte, wenn er spannt. Das hat ja mit dem Theaterzuschauer wenig zu tun, weil ein Theaterzuschauer sitzt ja in einer Gemeinschaft und schaut in einer Gemeinschaft zu, und das Voyeuristische würde ich vielleicht dann erzeugen und könnte mir das auf den Proben auch ermöglichen, wenn ich denn nach einer sehr schlüpfrigen Art und Weise vorgehen würde, wie es dann vielleicht bestimmte Formate im Fernsehen tun oder so. Und das heißt, ich würde Dinge hören wollen oder Texte aussuchen, die so eine Art von Voyeurismus im Sinne einer Schlüpfrigkeit erfordern würden oder danach suchen würden, aber darum geht es gar nicht.

Es geht darum, dass diejenigen, die was zu erzählen haben, auf der Bühne stehen. Warum sollen die nicht auf der Bühne stehen? Das ist ein öffentliches Forum, und die haben etwas zu versenden, die haben das Bedürfnis zu reden. Wir bieten oft Gruppen auch ein Forum, die sonst keines haben. Also gerade diese Frauen haben keines. Das ist ja das Groteske, teilweise auch Perverse an der Geschichte: Die gesamte Männerwelt hält sich Teile des Lebens bei Prostituierten auf, also sind ungeheure Zahlen, wenn die denn stimmen - das ist natürlich alles nicht wirklich dokumentiert, aber es sind schon ungeheure Zahlen. Und es gibt aber keine wirkliche Akzeptanz dieser Frauen, nach wie vor nicht. Vor 100 Jahren nicht und heute nicht. Sie werden nach wie vor stigmatisiert, vor dem Geschlechtsakt und nach dem Geschlechtsakt, und während des Geschlechtsaktes oder während des Beisammenseins ist es gut, ist es okay. Es wird aber nach wie vor tabuisiert, ist ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft, ein Kitt, der teilweise auch Sachen zusammenhält, die vielleicht so gar nicht zusammen zu erhalten sind.

Und dass diese Frauen dann auf einer Bühne stehen und Texte erzählen, die man so sonst lesen würde oder vielleicht auf irgendwelche Umwege erfahren würde, hat für mich überhaupt nichts mit Voyeurismus zu tun, es hat was im besten Falle mit Theater zu tun.


Burkhardt: Sie haben es jetzt gerade schon angesprochen, das Gewerbe der Prostituierten lebt von Diskretion, auch von Heimlichkeit, weil es gesellschaftlich natürlich nicht anerkannt ist - war es denn dann sehr schwer für Sie, diese Frauen zu finden und auch dazu zu kriegen, auf die Bühne zu gehen, sich öffentlich zu machen? Es ist ja möglicherweise auch gewerbeschädigend für sie selber, geschäftsschädigend.

Lösch: Es war sehr schwer, ja. Es ist sehr schwer und es ist auch gewerbeschädigend. Also einige haben erzählt, dass sie seitdem, da sie es auch veröffentlicht haben im Internet, keine Angebote mehr bekommen, weil Freier keine Lust dazu haben, sich dann auf eine Art und Weise benannt oder wiedererkannt zu werden, wobei wir das natürlich nicht machen, wir nehmen natürlich keine Namen von Freiern auf der Bühne, darum geht es ja gar nicht.

Aber es ist natürlich sehr schwer, und wir haben da sehr persönlich arbeiten müssen und haben uns sehr zäh auch von Kontakt zu Kontakt dann durchgefragt und Gespräche im Vorfeld geführt und haben dann auch noch die ein oder andere Frau dazugewonnen, als wir dann angefangen haben zu proben und die anderen dann erzählt haben, komm doch da auch mal hin, das ist total interessant und lass uns das machen. Aber einfach war es nicht, das ist richtig, ja.


Burkhardt: Was war denn die verblüffendste Erkenntnis, die Sie gewinnen konnten aus diesen ganzen Gesprächen, die vorab auch schon stattgefunden haben?

Lösch: Also für mich persönlich die wirklich wechselseitige Durchdringung dieser beiden scheinbar nicht zusammengehörenden Sphären Bürgerlichkeit und Prostitution. Das ist, finde ich, sehr erstaunlich. Also es war eine Ahnung da, sonst hätten wir es ja nicht so konzipiert, aber das Überraschende für mich ist, dass die Käuflichkeit von Beziehungen, von Gefühlen und von Liebe auf eine sehr deutliche Art und Weise schon in diesen Beziehungen eingeschrieben ist und dass andererseits auch unheimlich viel Nichtkäuflichkeit auch in diesem Beruf stattfindet. Da hatte ich auch so das Klischee im Kopf, also Prostituierte, das ist doch eigentlich ein sehr kalter Beruf, also man spaltet das Innere vom Äußeren ab oder wie auch immer, arbeitet dann und verdient Geld.

Aber dass es unheimlich viel auch mit Liebe zu tun hat oder mit den Zwischenbereichen zwischen Liebe und Käuflichkeit, und dass es Frauen gibt, die sehr stolz auf diesen Beruf sind, die sich sehr wohlfühlen - sind nicht die Frauen, die in der Kurfürstenstraße stehen, aber es sind zum Beispiel Frauen, die Tantramassagen machen und so, die auch immer mit einem sexuellen Abschluss enden. Das sind alles Berufe, die, glaube ich, sehr stabilisierend wirken können für eine Gesellschaft und die auch in vielen Bereichen wirklich was mit Erotik und mit Liebe zu tun haben. Und die Frauen sagen selber, wenn es so was gäbe wie eine Hochschule für Liebe und für Sexualität, müssten wir Professorenstellen haben, Professorinnenstellen haben.


Burkhardt: Das heißt, der Begriff käufliche Liebe ist nicht nur ein Klischee für die käufliche Körperlichkeit, sondern da findet wirklich eine Form von Liebesbeziehung statt?

Lösch: Ja, durchaus. Also es werden zum Beispiel von den Frauen drei Typen von Männern geschildert, mehr gibt es leider nicht ...


Burkhardt: Welche drei sind das?

Lösch: ... schon zwei mehr, als ich dachte. Ganz kurz: Die Männer, die eben sich sehr anständig verhalten, sich gut verhalten, die aber dann den Prozess der Prostitution leugnen, die also sagen, wir sind ja gar nicht im Puff und du bist doch gar keine Prostituierte, und wenn du mal eine Therapie machst, dann ist das vorbei, oder ich hol dich hier raus, ich rette dich. Das sind die Männer, die dann sich verlieben in die Frauen, die die Handynummer haben wollen, die der Frau nachstellen, die mit der dann auch privat was machen möchten, [1.] Liebeskasper werden die genannt von den Frauen. Das ist wohl sehr unangenehm auch, was dieses Stalking betrifft danach.

Dann gibt es [2.] die brutalen Männer, die auf Machtspiele aus sind, die die Frau runterdrücken möchten, die anhand der Beziehung zu der Frau sich selber aufwerten möchten, also das sind die, die die Frau wahrscheinlich auch verachten. Und dann gibt es eben die, bei denen das alles gut läuft, also [3.] die korrekt sind, die den Bezahlvorgang auch nicht leugnen, die den auch tätigen, die regelmäßig kommen, die richtiggehende, über Jahre bestehende Beziehungen zu den Frauen aufbauen - und das endet natürlich dann manchmal in Liebesbeziehungen, auch von den Frauen ausgehend. Das ist doch ganz klar, also wenn man auf die Art und Weise miteinander umgeht, das geht ja nicht immer so rein, Hose runter und rammel, sondern da gibt es ja im Escortbereich richtig lange Anlaufzeiten - mit Treffen, mit Reden, mit Essen, vielleicht auch nur reden und dann wieder gehen, und dann kommt es irgendwann zu einer sexuellen Handlung und so.

Aber da gehört ja so ein gesamtes Paket zusammen, und das sind ja auch hochintelligente Menschen, die da in diesem Beruf unterwegs sind. Also viele Studentinnen, viele sehr intelligente Frauen. Das ist auch so ein Klischee, ja - die haben vielleicht nicht so viel in der Birne und müssen das und das machen -, das Gegenteil ist der Fall. Oder eine Frau macht bei uns mit, die mit 50 Jahren zur Prostitution gekommen ist. Sie hat ihre Sexualität entdeckt in der Prostitution und lebt diesen Beruf der Prostituierten jetzt mit 60 Jahren selbstverantwortlich und sehr zufrieden. Also die hat sich quasi gerettet durch die Prostitution. Und das sind alles so Geschichten, die sind total interessant, gehen gegen jegliches Klischee, und das macht so ein Material für mich reicher.


Burkhardt: Herr Lösch, Wedekind wollte mit seinem Stück das satte Bürgertum aus seiner Lethargie herausreißen und es zwingen, Zitat, "die Welt zu sehen, wie sie ist". Ist es auch das, was Sie wollen, das satte Bürgertum aus der Lethargie reißen, und funktioniert das in Form von Provokation?

Lösch: Ein guter Theaterabend ist immer provokant, in welche Richtung auch immer. Ich glaube nicht, dass es da ein Mittel gibt dafür, wie man provoziert, aber Provokation ist für mich positiv besetzt das Wort. Provozieren heißt für mich, dass ich mich auf einer Art und Weise, die dann dem entsprechenden Team immer jeweils zuzuordnen ist, herausfordern lasse von einer Behauptung, die auf einer Bühne stattfindet, dass ich was sehe, was ich so noch nicht gesehen habe, dass ich was erfahre, was ich vielleicht so noch nicht erfahren habe, dass mich Dinge auf eine Art und Weise irritieren und vielleicht sogar dazu bringen, etwas anders zu sehen, als ich es vorher gesehen habe - also die Art von Provokation unbedingt.

Ansonsten denke ich, ist es ein sehr auch wieder zeitloses Zitat von Herrn Wedekind, weil auch das, glaube ich, wichtig ist für jeden Theaterabend, der von irgendeiner Relevanz ist. Das Bürgertum, das satte Bürgertum also würde ich mal sagen, trifft nicht zu, weil ich gehöre ja auch dazu, ich sitze ja auch im Theater und ich bin ja auf derselben Seite wie die Zuschauer und auch am selben Punkt, an dem die Zuschauer sind. Und insofern würde ich sagen, wir, die Zuschauer, wissen schon einiges und haben auch schon einiges gelesen und sind aber vielleicht doch immer wieder noch über bestimmte Sichtweisen oder Herangehensweisen an Ästhetiken oder an Themen überrascht. Also Aufklärung in dem Sinne, dass man etwas zeigt, was man so noch nie gehört hat, ist, glaube ich, nicht angesagt, zumindest nicht in großen deutschen Theaterhäusern, in denen ja ein sehr aufgeklärtes Publikum sitzt.

Aber die Verbindung von bestimmten Dingen, das Eröffnen von neuen Denklinien, das Beschreiben von anderen inhaltlichen Horizonten, ist, glaube ich, immer wieder möglich durch unterschiedlichste Verknüpfungen und Verbindungen, die man herstellt und glaube ich nicht über das Abspielen, in Anführungszeichen, auch virtuose oder gute Abspielen von Stücken, weil das letztlich dann nur noch dazu führen kann, dass man einen Stoff, den man auch nachlesen kann, dass man diesen Stoff auf eine sehr kulinarische Art und Weise aufbereitet bekommt. Aber das wäre mir zu wenig, also da fehlt was, da ist dann das Angebot zu gering. Und es ist dann auch in der Tat so, dass mich persönlich so was langweilt.


Karkowsky: Sie hörten Susanne Burkhardt im Gespräch mit dem Theaterregisseur Volker Lösch, dessen Inszenierung "Lulu - Die Nuttenrepublik" am Samstag Premiere hat in der Berliner Schaubühne.

Service: "Lulu - Die Nuttenrepublik" von Volker Lösch nach Frank Wedekind mit Texten von Berliner Sexarbeiterinnen hat am 11.12.10 Premiere. Weitere Termine finden sie auf der Webseite der Berliner Schaubühne.





Lulu – Die Nuttenrepublik

Posted 9. Dezember 2010 By Gollum
http://freierjournal.com/2010/12/09/lul ... nrepublik/





Chor der Prostituierten


Volker Löschs Inszenierung in Berlin
http://www.welt.de/print/welt_kompakt/k ... erten.html

In dem Stück "Lulu - die Nuttenrepublik" spielen auch 16 echte Huren mit

Ausgerechnet der wirtschaftliche Aufschwung ist schuld: Weil es den deutschen Banken wieder besser geht, brachliegende Karrieren neuen Wind erhalten und die Branche mit aller Macht daran arbeitet, ihr schlechtes Image loszuwerden, scheiterte Volker Löschs Versuch, seine Inszenierung von Georg Kaisers "Von morgens bis mitternachts" mit einem Chor der Banker ins Heute zu verlängern.

"Vor einem Jahr hätten sie's noch gemacht, es gibt ja durchaus viele, die da was zu erzählen haben. Aber jetzt haben sie ganz klar Redeverbot bekommen", sagt Lösch. Weil das Banker-Projekt scheiterte, musste Lösch umdisponieren. Statt Kaisers expressionistischer Szenenfolge um einen Bankkassierer auf Abwegen inszeniert er nun "Lulu - die Nuttenrepublik" frei nach Frank Wedekinds Tragödie - mit einem Chor aus Prostituierten.


Morgen ist Premiere.

Mit dem Chor schafft Lösch für Lulu, diese sprichwörtlich gewordene kindliche Verführerin, Mörderin und Hure der Jahrhundertwende, einen heutigen Resonanzraum. Dabei erweisen sich die 16 Frauen aus allen Szenen zwischen Kurfürstenstraßenstrich und Luxus-Escortservice, aus verschiedenen Hintergründen und unterschiedlichen Motivationen, einige von ihnen noch aktiv, andere längst ausgestiegen, als wahre Expertinnen der Liebe: "Wenn es eine Schule der Sexualität gäbe, dann müssten diese Frauen dort Professorinnen sein", sagt Lösch. Und meint das ernst. Viele seiner Darstellerinnen hätten berichtet, dass sie für immer mehr Männer wichtige Partnerin in Sachen Liebe, Sexualität und Beziehung sind. Was wiederum viel über unsere Gesellschaft und ihren Wandel erzählt.

Auch dieses Private, es ist politisch: "Das Prinzip Prostitution ist doch ein Bestandteil unserer Gesellschaft. Warum werden Sexarbeiterinnen dann ausgegrenzt?", fragt Lösch, rhetorisch natürlich. Denn dass sich an den Außenseitern und Minderheiten der Stand einer Gesellschaft ablesen lässt, zeigt der Regisseur seit Jahren. Mit dem Chor stärkt Lösch Lulu, diese Projektionsfläche männlichen Begehrens, indem er sie doppelt, konterkariert, begleiten lässt.

Er hebt ihr Taumeln durch die Betten und Ehen ins Allgemeine, ihr Benutztwerden, aber auch ihre Wandlung zur harten, selbstbestimmten Person: "Lulu funktioniert zunehmend wie Männer", sagt Lösch, sie erpresst, mordet, nutzt die Gräfin Geschwitz aus. Natürlich wird auch diese Inszenierung polarisieren. Allein der Titel ist eine Provokation, was Lösch durchaus beabsichtigt haben dürfte: "Das schlimmste, was passieren kann, ist ein netter Abend, wenn man schon beim Verlassen des Theaters über etwas anderes nachdenkt oder redet."





Video Trailer:

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=22146





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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von Zwerg »

Hier nochmals der Trailer von unserem Server (damit er auch später noch aufrufbar ist)
Leider ist es mir nicht möglich die Vorstellung zu besuchen (habe einige Termine, die mich in Wien festhalten) - aber es reizt mich ungemein....

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friederike
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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von friederike »

Hallo Ariane,

grossartige Kritiken in der "Frankfurter Allgemeinen", gerade ein positiver Bericht in 3Sat - herzlichste Glückwünsche zur erfolgreichen Aufführung von "Lulu, die Nuttenrepublik"! Das finde ich toll!!

LG
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Beitrag von ehemaliger_User »

Premiere von "Lulu - Die Nuttenrepublik"
Die Welt als Kissenschlacht

Regisseur Volker Lösch konfrontiert Wedekinds Drama "Lulu" mit den Erfahrungen von Sexarbeiterinnen, die er in die Berliner Schaubühne holt. Hier sind höchstens die Freier nackt.
VON INES KAPPERT

BERLIN taz | Daunenkissen, über tausend an der Zahl, an langen Schnüren aufgehängt wie eine Jalousie, bilden eine meterhohe lichtdurchlässige Mauer, die sich über die gesamte Bühnenbreite zieht. Sie erinnern an einen Wall aus Sandsäcken: Der Krieg im Bett. Folgerichtig staken aus den Zwischenräumen auch keine Gewehre, sondern nackte Frauenbeine richten sich auf die ZuschauerInnen.

Volker Lösch überträgt Frank Wedekinds "Lulu" in die Jetztzeit und gibt seiner Inszenierung den Titel "Lulu - Die Nuttenrepublik". Der berüchtigten Femme fatale des modernen Theaters gesellt er einen Chor hinzu, den er mit Berliner Sexarbeiterinnen bestückt hat.

"In Lulu", so erklärt uns das Programmheft die Annäherung an den Klassiker, "macht Frank Wedekind die Probe aufs Exempel: Wer prostituiert sich nicht? Und: Wie viel Leben erträgt unsere bürgerliche Welt?" Immerhin steht Lulu für eine junge, lebensfreudige Frau am Ende des 19. Jahrhunderts. Die mittellose Waise hat begriffen, dass ihr einziges Kapital die schmutzige Lust der bürgerlichen Männer ist.

Anstatt sich über die Bigotterie zu grämen, macht sie sie sich zunutze. Lulu genießt ihre Macht. Ohne groß nachzudenken, geht sie über die Leichen ihrer Ehemänner, sie hatte Spaß mit ihnen, aber Liebe kam nicht ins Spiel. Lulu will sich in der Bourgeoisie einen Platz erobern, ohne deren Regeln anzuerkennen. Voller Naivität beharrt sie darauf, sich selbst erfinden zu können - und zahlt den höchsten Preis dafür. Jack the Ripper wird ihr in London ihre Geschlechtsorgane herausschneiden.

Noch heute, so die Botschaft des Stücks von Volker Lösch, vertragen sich bürgerliche Sexpraxis und lebendige Leidenschaft schlecht. Weshalb viele Männer vor allem zwischen 40 und Mitte 50 Sexarbeiterinnen für ihre Libido in Dienst nehmen. Wer verkörpert die Verdrängung der Liebe durch den Narzissmus besser als die Hure? Im Bordell wird die SexpartnerIn als reales Gegenüber abgeschafft, es bleibt die Projektionsfläche. Die Sexarbeiterinnen empfinden es als schwach, dass ihre Freier es nicht verkraften, sie als Hure und als Frau sehen zu können. Um auf ihre Kosten zu kommen, müssen sie die Sexarbeiterinnen entmenschlichen - zumindest tun dies 80 Prozent der Freier.

Nach "Berlin Alexanderplatz" verschränkt Volker Lösch erneut einen klassischen Theatertext mit Prosastücken aus dem, was man so Leben nennt. Schauspieler stehen gemeinsam mit Laien auf der Bühne, eine wohltemperierte Theatersprache prallt auf nüchterne Geschichten aus dem Rotlichtmilieu. "meine lieblingssachen sind / oder worauf ich so spezialisiert bin / so ne art vergewaltigungsfantasien / das hatte ich schon als kind / also ich hab das was ich jetzt mache halt ganz lang ohne geld gemacht."

Es macht Spaß, den Sexarbeiterinnen zuzuhören und zuzusehen. Jede Geschichte ist anders, ihre Gesichter zeugen von Eigenwilligkeit, ihr nüchternes Vokabular ist erfahrungsgesättigt, man glaubt ihnen. Nur, warum interessiert sich der Regisseur so wenig für sie? Beständig setzt er auf den groben Witz, aufs Krachledernde. So entzieht er sich etwa der ernsthaften Beschäftigung mit den Motiven der Freier, indem er sie lächerlich macht: Die Frauen sind überlegen, die Männer blöd. Zur Strafe müssen sie ständig ihre blanken Hoden und Hintern dem Publikum zeigen.

Natürlich ist es politisch korrekt, den Kunden dem voyeuristischen Blick des bürgerlichen Publikums auszusetzen, während die Frauen angezogen bleiben. Aber das Tabu, dass der Grund für Prostitution nicht die gefallene Frau, sondern eine gesellschaftlich anerkannte Idee von männlicher Sexualität ist, bleibt unangekratzt.

Und auch den Sexarbeiterinnen räumt Lösch nicht wirklich Raum ein. Sie bleiben Hintergrund für den Klassiker von Wedekind. Keine der Sexarbeiterinnen darf je allein auf die Bühne; als Einzelperson die Stimme zu erheben, bleibt den professionellen SchauspielerInnen vorbehalten. Vielleicht ist diese Entscheidung zuförderst pragmatisch motiviert, vielleicht schaffen die ungeschulten Stimmbänder es nicht, eine große Theaterbühne zu füllen. Aber dann hätte man nach anderen Lösungen suchen müssen. Die Frauen immer nur gruppenweise auftreten und sprechen zu lassen, untergräbt einen zentralen Anspruch des Stückes: nämlich Huren eine Individualität zuzugestehen, das Recht auf Brüche in der Biografie, das Recht, auch als Sexarbeiterin an der bürgerlichen Welt teilhaben zu können. "und wenn in der biographie von frau merkel / und frau käßmann stehen könnte / dass sie mal 5 jahre angeschafft haben / und trotzdem hätten sie ihren job - das wäre der Anfang vom Ende der Nuttenrepublik", heißt es im Abschlussmanifest programmatisch.

Und da, beim Epilog des Stücks, kommt Fremdschämen auf. Während die Kissenwand spektakulär in sich zusammenfällt, rufen die Sexarbeiterinnen ein Manifest ins Publikum. "Im Namen der Muschi-Partei: Steht auf für ein befriedigtes Europa, für eine befriedigte Welt!" Ungelenk reckt sich die eine oder andere Faust in die Höhe. Das Publikum lässt sich mitreißen, es klatscht und trampelt. Wer will schon fehlen, wenn am Samstagabend in Berlin-Charlottenburg die sexuelle Befreiung und der Weltfrieden gefordert werden?

taz 13.12.2010
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Beitrag von Zwerg »

@Ariane

RESPEKT!

christian

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Marc of Frankfurt
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Von Laura:

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Siegessäule Berlin
Bühne


„Lulu“: Platte Klischees über Prostitution

Die Inszenierung an der Schaubühne bindet reale Protagonistinnen ein, erinnert aber allzusehr an ein Agit-Prop-Theaterstück



SIS 14.12. – Die Geschichte um Lulu, Femme fatale des Theaters und der Literatur, war zu Wedekinds Zeiten ein Skandal. Heute bekommt das Drama um die sozial abgestiegene und schließlich von Jack the Ripper ermordete Hure Ovationen. In der modernen Inszenierung von Volker Lösch an der Berliner Schaubühne treten wie in allen seinen Stücken Betroffene auf. Hier sind es 17 Sexarbeiterinnen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Sparten der Prostitution, die die klassische Tragödie mit ihrer Realität unterfüttern. In hautfarbene Kleider gehüllt, verkünden sie als Sprechchor nicht allzu überraschende Geschichten aus dem Milieu, die dennoch spannender sind, als das Spiel der sehr plakativ agierenden professionellen Schauspieler und der Hauptdarstellerin Laura Tratnik.


Stereotype bestimmen das Bild vom „Gewerbe“

Letztere spielt frech und beherrscht die Lulu, die Männer dagegen stellen reine Klischees dar, die im Publikum für Lacher sorgen und zuweilen wirklich witzig sind. Damit bleibt Volker Lösch aber in einer wenig überraschenden Darstellung des Gewerbes stecken und beantwortet auch die im Programmheft gestellte Frage nicht: Wieviel Prostitution ist im Bürgertum und wieviel Bürgertum in der Prostitution?

Im Stück werden Freier lächerlich gemacht, während Huren niemals einzeln als Individuum auftreten dürfen. Wenn dann plötzlich nach Lulus Ermordung das Bühnenbild zusammenbricht und die Sexarbeiterinnen zur Gründung der Muschi-Partei aufrufen und das „Goldschwanz-Manifest“ verlesen, glaubt man sich in einem Agit-Prop-Theaterstück. Dann kündigen alle inklusive des Publikums diese Nuttenrepublik auf und treten für freie Liebe ein, mit „Sex und Erotik im allgemeinen und bezahltem Verkehr“, wie eine der Huren die Faust reckend ruft. Das kann man allemal unterstützen.

Laura Méritt





„Lulu. Die Nuttenrepublik“, Regie: Volker Lösch, Chor: Bernd Freytag, Bühne: Carola Reuther, Kostüme: Cary Gayler, Schaubühne

Weitere Aufführungen: 14.–15.12., 20.–23.1.2011, 20 Uhr

http://www.siegessaeule.de/kultur-in-be ... ution.html

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Ariane
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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von Ariane »

Mein Kommentar nach vorläufiger Sichtung der Kritiken ist auf meinem Blog zu finden.nuttenrepublik

Ich freue mich schon auf die Januar-Aufführungen.
:016

Hier noch ein TV Beitrag aus Foyer, dem Theatermagazin ZDF/3sat vom 15.12

Foyer
Zuletzt geändert von Ariane am 16.12.2010, 21:32, insgesamt 1-mal geändert.
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Angeblicher Hurenchor

Beitrag von ehemaliger_User »

Probleme mit der Sitte
16.12.2010, 17:38 2010-12-16 17:38:
Von Peter Laudenbach
Ein PR-Gag: Volker Löschs angeblicher Hurenchor in der Berliner "Lulu" sind nun doch keine echten "Sexarbeiterinnen". Und dann sind sie auch noch unterbezahlt.

Vielleicht hätte man das knallige Programmheft zu Volker Löschs "Lulu"-Inszenierung an der Berliner Schaubühne doch etwas ernster nehmen sollen. Lösch hatte seine eher grobmaschige Wedekind-Adaption mit einem beeindruckenden Chor von Berliner Prostituierten collagiert.

Über die Tätigkeitsfelder der Chor-Frauen im echten Leben informierten die Werbetexte mit Liebe zum Detail: Von der "Bizarr-Lady" und der "Domina" über die "Pornodarstellerin" bis zur "Puffmutter" und "Sklavia" reicht das Spektrum der Authentizität verbürgenden Chor-Damen.

Aber offenbar war eine neckische Frage im Programmheft ("Wer prostituiert sich nicht?") mehr als ein etwas platter kapitalismuskritischer Scherz. Wenn sich im Dienstleistungsgewerbe ohnehin alle ständig verkaufen müssen, wenn wir also eigentlich alle Prostituierte des Marktes sind, ist es am Ende auch egal, ob die "Berliner Sexarbeiterinnen" (Programmheft) wirklich vom Fach sind. Einige Tage nach der Premiere musste die Schaubühne auf Nachfrage bestätigen, dass vier der fünfzehn Chor-Frauen ganz normale Jungschauspielerinnen sind.

Was nicht weiter ehrenrührig wäre, wenn die Schaubühne sie im Chor der "Berliner Sexarbeiterinnen" auch als solche vorgestellt hätte. Aber die wirkungsbewusste (um nicht zu sagen: PR-geile) Dramaturgie des Hauses wollte diesen Umstand - verständlicherweise - lieber verschweigen. Denn egal, ob Lösch für seine Laien-Chöre Migranten, Hartz IV-Empfänger oder Prostituierte engagiert - das Authentizitätsversprechen ist das Interessanteste an seinen lautstarken Inszenierungen. Fällt es weg, bleibt außer aggressiven Parolen wenig übrig.

Und noch ein anderes Glaubwürdigkeitsproblem hat der Regisseur seit kurzem. Durch eine Aussteigerin des "Lulu"-Chores wurde bekannt, dass die Gagen der Chor-Darsteller kaum zu Löschs sozialem Anspruch passen. Für sechs Wochen Probenzeit sollen sie nur einige hundert Euro erhalten haben. Die Abendgage für die anstrengende Show beträgt bescheidene 80 Euro. Löschs Regie-Gage dürfte nicht unter 25000 Euro liegen.

So setzt sich die von Lösch gerne attackierte Klassengesellschaft auf der Bühne und in den von ihm selbst geschaffenen Arbeitsbedingungen fort. In anderen Branchen nennt man so eine Bezahlung: sittenwidrig.

Süddeutsche Zeitung 16.12.2010
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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von Ariane »

Möchte hier mal den Foren-Beitrag von Rüdiger Sch. aus der grösstenteils unsäglichen Diskussion im Theater-Forum Nachtkritik zitieren:

Beitrag #41
"Lulu in der Schaubühne: wo bitte ist da der fake?
kein mensch schon gar nicht volker lösch oder die schaubühne hat jemals einen "nuttenchor" angekündigt ! und schon gar keinen "authentischen" ! was soll das denn bitteschön auch sein ? es geht um die texte ! und die sind wohl ausschließlich von den gecasteten sexarbeiterinnen - also "wahr" - und werden als solche im programmheft auch benannt ! hab eben noch einmal nachgeschaut, war nämlich heute in der vorstellung. und wenn diese texte von 12 sexarbeiterinnen - von denen sie auch stammen - plus 4 schauspielerinnen gesprochen werden - wo bitte ist da der fake ??? wer wird da um was betrogen ? der zuschauer, der die "authentische nutte" 16 mal sehen möchte, die aber als solche gar nicht angekündigt wurde ? die frauen firmieren im programmheft als "lulu" - da ist nirgends von einem "chor aus sexarbeiterinnen" die rede. insofern verkauft hier niemand etwas falsches - das einzige was hier falsch ist ist die behauptung, dass schauspielerinnen nicht mit sexarbeiterinnen in einem chor stehen können ! das stigmatisiert ja nun die schauspielerinnen ! entscheidend ist die bühnenrealität dieser konstruktion - und ob die verwendeten texte alle aus der gruppe kommen. und das scheint ja der fall zu sein. also fahrt mal eure inszenierte aufregung runter, geht in die schaubühne und schaut euch die gelungene inszenierung an - statt euer resthirn abend für abend in diesem forum zu verballern.

rüdiger sch."http://www.nachtkritik.de/index.php?opt ... ment-17829nachtkritik

Traumpaar
zum SZ-Beitrag vom 16.12 ausserdem: Ein Theater-Kritiker, der seit Jahren, offenbar aus persönlicher Motivlage gegen Lösch zu Felde zieht, in der SZ und im Berliner Magazin Tip schreibt und einer narzisstisch-gekränkten Sexarbeiterin dort eine Bühne bietet, die in pseudo-wallraffscher Manier zu Felde zieht, weil ihre Avancen beim Regisseur offenbar nicht fruchteten. Die Arbeitskonditionen und das Honorar waren lange zuvor bekannt. Sie war auch nur bei den Vorgesprächen dabei, hat an den Proben überhaupt nie teilgenommen, sich aber ihre Texte bezahlen lassen, etwa die Hälfte des Probenhonorars für die gesamte Probenzeit. So ist das mit der Kunst und der Selbstausbeutung, weshalb ein Nebenverdienst im Bordell und 80€/halbe Std. manchmal aushelfen muss.

http://www.tip-berlin.de/kultur-und-fre ... ssteigerin
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Beitrag von ehemaliger_User »

Danke Ariane für Deine Klarstellung.

Solche Hintergrundinformationen sind wichtig - ich konnte mir auf die Kritik des Peter Laudenbach keinen richtigen Reim machen. Es ist doch völlig nebensächlich ob 16 oder 12 "echte" Sexarbeiterinnen auf der Bühne stehen.



Ich selbst mag Löschs Inszenierungen schon immer.
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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von Ariane »

meine Klarstellung #4 Goldschwanz Chorfrau

Nachtkritik
Zuletzt geändert von Ariane am 04.06.2011, 19:04, insgesamt 4-mal geändert.
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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von Ariane »

Bemerkenswert, nur die Schauspielerin, die die weibliche Hauptrolle besetzt, heißt jedoch Laura Tratnik.

http://www.neues-deutschland.de/artikel ... chter.htmlND
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Rezensionen/Termine

Beitrag von Ariane »

die kommenden Aufführungstermine jan/feb ff. findet man auf der Website der Schaubühne schaubühne

FAZ faz.net

meine ausführlichen Bewertungen der Kritiken auf meinem Blog:
aktuell engl. hookers republic
zurückliegend deutsch nuttenrepublik
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Beitrag von Ariane »

Die kommenden Aufführungen sind nächste Woche vom 20. - 23. Januar sowie am 2. und 3. Februar. Im März finden keine Vorstellungen statt, da unsere Schauspieler durch das F.I.N.D. Festival und einem "Othello" Gastspiel in Paris verhindert sind.
Die Vorstellungen dann wieder Anfang April und Termine sind auf der Website http://www.schaubuehne.de/de_DE/program/detail/8592352zu finden.

Ich freue mich, wenn viele interessierte Besucher und KollegInnen den Weg nach Berlin finden und freue mich über Rückmeldungen, gerne auch nach den Vorstellungen im Café der Schaubühne.

herzlichst
Ariane
Zuletzt geändert von Ariane am 25.01.2011, 19:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Interview

Beitrag von Ariane »

Liebe KollegInnen,
folgendes Interview wird in der kommenden Februar-Ausgabe der Berlin-Intim-Zeitung erscheinen, die hauptsächlich in Berlin kursiert bzw. erhältlich ist.
Die letzten Vorstellungen waren komplett ausverkauft, nur in der letzten am Sonntag Abend sind einige Plätze frei geblieben.
Anfang Februar gibt es zwei Vorstellungen, dann wieder Anfang April, im März keine, da ein Theaterfestival die Schaubühne in Beschlag nimmt und einige unserer männlichen Hauptdarsteller in Paris zu einem Gastspiel unterwegs sind.
Eine Kollegin ist jetzt leider sehr krank geworden, musste aus dem Projekt ausscheiden; es besteht die Möglichkeit, dass Frauen auch nachträglich noch hinzukommen können, sie werden intensiv eingearbeitet. Bei Interesse bitte an mich wenden!!!!!!!!
Das Stück läuft zunächst bis Juli, bei Erfolg über ein Jahr.


Hier das Interview:





1. Ariane, Du behauptest, Du hättest das Stück "Lulu" (mit)initiiert. Kannst Du uns das bitte genauer erklären?

Ursprünglich war LULU nach Frank Wedekind in einer Neuadaption seit 2 Jahren für London geplant, wo ich mich regelmässig aufhalte; allerdings mit anderem Konzept und anderer Besetzung, aber politischer Stossrichtung, u.a. um auf die immer noch stattfindende Kriminalisierung von Sexworkern aufmerksam zu machen. Auslöser für die Idee war unter anderem eine Novellierung, im Sinne Verschärfung des englischen Prostitutionsgesetzes, inkl. "Kundenkriminalisierung" und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der britischen Kolleginnen, wonach eine Wohnung, in der zwei Frauen arbeiten, schon als Bordell gilt und Bordelle sind dort illegal. Dies zwingt die Frauen, die Sexworker dazu, alleine und/oder in den Untergrund, auf der Strasse zu arbeiten, wo sie mehr Übergriffen ausgesetzt sind.

Wir hatten schon Zusagen und Mittel von staatlichen Stellen, aber konnten nicht genügend private Mittel einwerben, die für die Realisierung des Stücks notwendig waren, nachdem die Finanzkrise den kulturellen Bereich erschüttert hatte. So warf erst die Produzentin die Flinte ins Korn, dann die Regisseurin und ich als einer der Darstellerinnen, Performance Künstlerin mit politischem Anliegen, war sehr traurig, dass das Projekt gescheitert war. Ausserdem hatte ich eigenes Geld ins Projekt gegeben, zudem spendeten einige meiner Kunden, Sympathisanten und eine Escort-Kollegin etwas Geld, damit ist dann die zweite Produzentin auf und davon. Zum Glück war der Betrag nicht allzu hoch, aber ärgerlich und enttäuschend.


Nachdem ich im letzten Jahr dann das Stück Berlin-Alexanderplatz nach Döblin an der Berliner Schaubühne von Volker Lösch inszeniert gesehen hatte, dachte ich mir, dass er vielleicht Interesse hätte, das Thema aufzugreifen, und so nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und wandte ich mich im letzten Herbst an ihn. So erfuhr ich, dass er auch schon oft mit dem Gedanken gespielt hatte, wusste aber, dass es fast unmöglich ist, Frauen aus dem Gewerbe zu finden, die bereit sind, bei solch einem Unternehmen mitzumachen. Wir beschlossen, das Ding auf die Beine zu stellen und legten uns dafür ins Zeug. Eine schwierige Aufgabe und Herausforderung, genügend Frauen zu finden, um einen Chor zusammen zu stellen, die über Sexwork-Erfahrung in der einen oder anderen Weise verfügen, über ihre Erfahrungen Auskunft geben und Lust hatten, Theater zu spielen, verbunden mit einem extremen Zeitaufwand und Einkommenseinbussen, nicht nur bei jenen, die noch im Gewerbe aktiv sind. Eine gehörige Portion Idealismus und Mut gehört zur Umsetzung jedes riskanten Unternehmens.


2. Wie ist es für Dich, Deine Arbeit als Prostituierte im Theater einem breiteren Publikum zu präsentieren? Wie schwer war für Dich dieser Schritt an die Öffentlichkeit?


Ich persönlich brauchte nicht lange überlegen, da das Projekt ja auch mein "Baby" ist und worauf ich jahrelang hingearbeitet und hingefiebert habe. Wenn man persönliche und politische Anliegen hat, für die man eintritt, ist es eine Art Güterabwägung, welche möglichen Nachteile sich daraus ergeben können, das war mir von vorne herein klar. Entscheidend ist, dass das Thema Prostitution in die Mitte der Gesellschaft gehört, wo "es" stattfindet und dort auch diskutiert werden muss, und damit raus aus den Randzonen, den Händen von Sozialarbeitern, rechten Feministinnen, Kirche, Gutmenschen, die "für einen" oder "über uns" sprechen.

Mitte heisst auch, dass Theaterbesucher mehrheitlich aus dem bürgerlichen Lager kommen, Theater als Institution im bürgerlichen Publikum verankert ist und daher als Kommunikationsmedium nicht zu unterschätzen ist.

Den öffentlich-rechtlichen sowie den privaten Medien ist es bislang nicht gelungen, das Thema differenziert zu behandeln und folgen im Regelfall zwei Grundmustern: entweder bieten Dokus Einstiegshilfe in Pretty-Woman-Manier, zeigen eine schillernde, luxuriöse Welt ohne Nebenwirkungen, wo mal schnell viel Geld zu verdienen ist, oder das Thema wird skandalisiert und die Frauen im Gewerbe im Regelfall zu Opfern erklärt oder als "Aussteigerin" portraitiert, die wieder mal ein Buch vorstellt, meist redundante Geschichten, x-mal gelesen und gehört, Rotlicht verkauft sich immer, Futter für Voyeuristen. Über die politische Seite denkt kaum jemand nach.
Meist findet das Thema nur in Zusammenhang mit Menschenhandel und versklavter Sexarbeit das Licht der Öffentlichkeit und die Aufmerksamkeit der bürgerlichen Presse. Im Grunde weiss fast niemand, dass es eine internationale soziale Bewegung von Sexworkern gibt, noch nicht einmal die meisten Sexworker selbst, dass sie mit ihren Sorgen, Nöten, die sich aus Stigma und Tabu ergeben, meist alleine sind, sich mit niemandem austauschen können.

Dass die überwiegende Mehrheit meiner KollegInnen selbstbestimmt werkelt, will auch keiner hören. Die unterschiedlichen Biografien und Lebenswege, aber auch teils ähnliche Erfahrungen, über die wir auf der Bühne Auskunft geben, zeigen ein facettenreicheres Bild, mit positiven und negativen Erfahrungen und unsere ganz persönlichen Einstellungen, unsere Motivationen, diesen Job auszuüben, warum wir ihn bspw. gerne machen bzw. es sind auch ein paar Frauen dabei, die vor einiger Zeit ausgestiegen sind.



3. Gab es andere Kolleginnen im Theater, denen es anders ging als Dir hinsichtlich des Schrittes in die Öffentlichkeit?


Natürlich. Jede Frau hat sehr lange darüber nachgedacht, für sich alleine oder in der Familie diskutiert, aber auch laut in den ersten Gesprächen im Team und jede hat ihre ureigene Motivation, sich auf die Bühne zu stellen. Es gibt einige wenige Frauen mit Sexwork- und Schauspielerfahrung, denen Theater spielen einfach Spass macht und die sich schon vorher geoutet haben, z.B. Nada Nijente in der kleinen Nachtrevue. Andere waren einfach wütend, auch wie das Thema in den Medien abgehandelt wird, da waren sich alle einig; und manche, die Kundengewalt, demütigende Erfahrungen gemacht haben, mit Polizei und Sitte, nicht nur am Strassenstrich, wollten ihrer Wut darüber Ausdruck verleihen und explizit Gesicht zeigen.
Und jene, die sich dann dazu entschieden hatten mitzumachen, sind auch dabei geblieben. Für einige war es wie eine Befreiung, sich zu outen und dies auch eine wesentliche Motivation, dabei zu sein. Andere waren als Tantramasseuse oder Erotik-Tänzerin tätig gewesen und konnten zunächst mit dem Begriff Sexarbeit nichts anfangen bzw. hatten zunächst die Sorge, dass sie auf der Bühne für "Prostituierte" gehalten werden, was ja automatisch passiert, nicht nur weil die Frauen aus den verschiedensten Bereichen der Erotik-Branche unter dem Begriff hier Sexarbeiterinnen gefasst werden, sondern weil jede Frau die Texte von anderen Kolleginnen mitspricht, die Biografien damit nicht mehr zuordnenbar sind. Eine Schutzmassnahme und gleichzeitig Solidaritätsgeste zueinander, die aus dem gemeinsamen Sprechen im Chor erfolgt.



4. Was zeichnet das Stück Deiner Ansicht nach aus? Warum würdest Du es empfehlen, sich das Stück anzuschauen?


Wir treten nicht "als" Prostituierte auf, sondern spielen Theater und verkörpern gemeinsam mit der Hauptdarstellerin Laura Trattnik die "LULU". Diesen feinen Unterschied haben die wenigsten Kritiker bis heute verstanden, wenn sie uns z.B. als "Nuttenchor" diffamieren. Und gleichzeitig werden authentische Erfahrungen von uns verarbeitet, hörbar gemacht, die Texte sind mit dem Original von Wedekind verwoben, d.h. Erfahrungen aus der Strassenprostitution sind bspw. auch in die Schlussszene dramaturgisch eingebaut, da LULU beim Anschaffen in Londons Strassen Jack the Ripper zum Opfer fällt.

In gewisser Weise ist dieses Projekt einmalig, da meines Wissens noch nie eine so grosse Ansammlung von Frauen mit einem Schlag Gesicht zeigt und Zeugnis von ihren Erfahrungen ablegen und dies auf einer grossen Theaterbühne und nicht im Hinterhofprogramm. Ich bin sehr stolz auf die anderen Frauen, denn ich weiss, wie schmerzhaft es ist, sich mit unangenehmen Erinnerungen, Erfahrungen zu konfrontieren und wie schwer es ist, "Gesicht" zu zeigen. Auch mir fällt es nicht leicht, aber als politische Aktivistin nehme ich jeden Tag zur Kenntnis, wieviele Kolleginnen, aber auch Stricher, Callboys, Trans-Girls Opfer von Gewalt in aller Welt werden, wobei ich mich trotz meiner privilegierten Situation in vielen Erfahrungen wieder erkenne. Die Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung treibt zudem die Mehrheit in die soziale Isolation oder in ein Doppelleben; ein Leben in der Lüge ist auf Dauer sehr anstrengend und kräftezehrend; bei einem privaten oder öffentlichen Outing hat man wiederum mit anderen Problemen zu kämpfen, ob in Freundschaften, Partnerschaften, beruflich oder in der Familie. Es ist so oder so eine verzwickte Situation und nur die wenigsten trauen sich, sich ihrem sozialen Umfeld mitzuteilen bzw. wenn sie es tun, haben sie mit neuen Erfahrungen der Ausgrenzung zu rechnen. Vieles von dem, was wir aussprechen, können sich andere Kolleginnen, die hoffentlich auch im Publikum sitzen, sicherlich anschliessen und das politische Abschlussmanifest, das ich geschrieben habe, ist allen "Sprachlosen" gewidmet, Sexworkern in der ganzen Welt, auch jene, die on the Job ermordet wurden/werden und Gewalt ausgesetzt sind, an die wir jedes Jahr am 17. Dezember in einem internationalen Gedenktag erinnern. Das Manifest ist gleichzeitig ein Plädoyer für Respekt und Menschlichkeit und schliesst alle Kunden-Männer ein, die dies im Umgang mit einer Hure, einem Escort etc. als selbstverständlich erachten. Weshalb es auch ein Manifest ist, das in seinen politischen Forderungen die Kunden einbindet, d.h. sich gegen die Stigmatisierung von Männern als "Freiern" ausspricht. Und es gibt da draussen sehr viele verantwortungsbewusste, liebevolle Kerle, die uns Profis sehr schätzen, die wissen, dass Sexwork mit Kommunikation, mit Nähe und Zärtlichkeit einhergeht, dass wir ihre Träume und Wünsche realisieren können und das gerne; offenbar haben die Gesellschaften neben einem monolithischen Treuekonzept und gerade deshalb einem stigmatisierenden Umgang mit dem Thema Sexarbeit, noch keine Alternativen zu Sexarbeit gefunden, um rein menschliche Bedürfnisse nach Sexualität und Nähe zu finden/auszuleben, und das in einer Gesellschaft, wo wie in Berlin jeder zweite Haushalt ein Singlehaushalt ist. Viele von uns wünschen sich eine Kultivierung der Lüste und diese gelingt nur, wenn Menschen, die der Prostitution nachgehen, eben nicht auf Körperöffnungen reduziert werden, wir nicht als seelenlose Ware wahrgenommen werden, sondern einfach als Menschen wie du und ich, die sehr viel bereit sind zu geben. Jedes Date und jeder sog. "Termin" in einem Zimmer ist ein ganz intimer Austausch von zwei Menschen, wobei Geld die Eintrittskarte zu diesem Luxus ist, Nähe und Sex mit einem Fremden zu teilen.




5. Die Kritiken zum Stück sind unterschiedlich: Während manche es zerreißen, loben andere es in den Himmel. Treffen Dich "schlechte" Kritiken? Was würdest Du den Kritikern gerne entgegnen?



Ich schätze konstruktive Kritik im allgemeinen, muss allerdings gestehen, dass ich nach Sichtung vieler Kritiken den Eindruck gewann, dass die Verfasser in einem anderen Stück gewesen sind. Unser Chor ist in fast allen Kritiken gut weggekommen; schade, finde ich, wenn einige Kritiker ihren permanenten Frust über Volker Lösch, sein Konzept, seine Arbeitsweise, auf Kosten der Schauspieler abarbeiten. Für die Schauspieler tut es mir leid, weil ihre Leistung nicht genügend gewürdigt wird, Volker Lösch ist es gewohnt, daß seine Arbeit umstritten ist und ihm kalter Wind ins Gesicht weht, damit muss man rechnen, wenn man neue Wege geht. Dies polarisiert immer. Mich haben die Kritiken nicht verletzt, nur traurig gemacht, dass viele KritikerInnen offenbar selbst dann noch in Schubladen denken und schreiben, wenn man sie auf der Bühne schon längst zerlegt hat.




6. Die "Arbeit" als Prostituierte ist in Deutschland nicht gerade "einfach". Hilft solch eine Publicity den Damen des horizontalen Gewerbes in irgendeiner Form?



Soviel Publicity hat das Theaterstück mit seiner ganzen Wucht ja noch garnicht gefunden, im Vergleich zu hirnverbrannten Filmchen und Talk-Shows, wo das Thema Prostitution regelmässig oberflächlich abgehandelt wird.
Die tagtägliche Arbeit ist durchaus nicht einfach, wenn man bedenkt, wie das Bundesgesetz zur Prostitution von 2002 seitdem lokal unterlaufen wird und in wievielen Bundesländern KollegInnen durch Polizei und Behörden Schikane und Willkür erleben, auch tätlichen Übergriffen ausgesetzt sind, einige Fälle kann man auch im Schattenbericht nachlesen, der der UNO zugegangen ist und von einigen engagierten Teammitgliedern von www.sexworker.at erstellt wurde, einem Hilfe & Supportforum für und von SexarbeiterInnen, einem Team, dem ich mich dankenswerterweise anschliessen durfte. Der Sachverstand, der dort gebündelt auftritt, das Engagement, dies findet man kaum in den allermeisten Beratungsorganisationen, auch international, und dies ehrenamtlich, um unabhängig zu bleiben.

Man sollte die Kraft der Kunst nicht unterschätzen und auch, dass es in der Geschichte immer einige Mutige gab, die entscheidende Veränderungen losgetreten haben. Ich bin da optimistisch. Diese intime Tätigkeit wird sicherlich niemals einem sog. "normalen" Beruf oder Dienstleistung faktisch gleichgestellt sein, was aus meiner Sicht auch nicht notwendig ist; es ist etwas ganz Besonderes, was wir leisten; es geht um Intimität, Sexualität, Nähe, Zärtlichkeit, die man nur gut und gerne mit Fremden oder Bekannten teilt, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, sowohl die Rechtssicherheit garantiert ist, dass man von seinem Lohn leben kann und dass man die Risiken minimiert, Opfer von Gewalt zu werden, sei es durch Kunden oder staatliche Gewalt. Der Begriff Sexarbeit hat Vorläufer in der amerikanischen Prostitutionsbewegung, um sich von der üblicherweise kriminalisierende Rede über "Prostitution" abzugrenzen und für soziale und politische Rechte zu streiten, die dem Schutz und der Sicherheit dienen, bei einer Tätigkeit, wo man einer grossen Verwundbarkeit und vielen Risiken ausgesetzt ist und Verbote dies nur verstärken.
Stigmatisierende Rede- und Handlungsweisen, in den Medien oder von politischer Seite, wie man es überall beobachten, lesen, hören kann, nicht nur in unseren Nachbarstaaten, gibt Tätern nämlich das Gefühl, dass wir BürgerInnen 2. oder 3. Klasse sind und verhalten sich entsprechend respektlos, auch gefährlich, wenn sie glauben, dass sie niemand für ihre Handlungen sanktioniert, in Haftung nimmt. Wenn aber bis ins letzte Kuhkaff, in die letzte Reihenhaussiedlung und in das letzte Gehirn endlich einsickert, das wir einfach Menschen sind und wie jeder andere auch respektvoll behandelt werden möchten, und dieses Theaterstück mit dieser Message hier ein klitzeklein wenig dazu beitragen kann, dann hat das Stück, neben seiner künstlerischen Bedeutung, sehr viel geschafft und dafür, dass Volker Lösch unsere Stimmen hörbar macht und er mit seinem professionellen Team das Thema verantwortungsbewusst und voller Energie angepackt hat, dafür bin ich ihm dankbar, und meinen Kolleginnen für ihren Mut.
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RE: Dringend: 20-30 Sexworkerinnen für Theaterstück gesucht!

Beitrag von Aoife »

Respekt, Ariane!
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