Esther Sabelus: Die weiße Sklavin.

Buchtips für Sexworker oder von Sexworkern
Benutzeravatar
Arum
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 961
Registriert: 01.06.2009, 13:35
Wohnort: Niederländische Grenzregion
Ich bin: Keine Angabe

Esther Sabelus: Die weiße Sklavin.

Beitrag von Arum »

<B>Nichts als "verzerrte Wahrnehmung und Panikmache?

Esther Sabelus dekonstruiert den Medienmythos der 'weißen Sklavin' um 1900</b>

(Auszüge aus einer ausfürhlichen Rezension )


..

Die Autorin möchte die Diskurse "freilegen", welche um die vorletzte Jahrhundertwende die white slavery, also den Mädchenhandel zum Zweck der (Zwangs-)Prostitution, begleiteten. Thema ist daher nicht der Mädchenhandel selbst, sondern das Echo, das er in der Presse, in Kriminalstatistiken, Prozessakten, in hoch- und niederkulturellen Romanen sowie insbesondere in zahllosen Kinofilmen fand.

..


Sabelus ihrerseits wirft nun auf ihren Untersuchungsgegenstand einen "konsequent dekonstruktivistische[n] Blick", der, so wörtlich, "unterstellt", dass "die Realität der städtischen Prostitution und der Alltagswelt junger Frauen in der Stadt mit dem Fokus der white slavery seitens der vornehmlich bürgerlichen Beobachter/innen verzerrt wahrgenommen wurde". Prinzipiell bezweifelt Sabelus zwar nicht, "dass sowohl Zwangs- wie Kinderprostitution existierte und existiert", erklärt dann aber "die Frage nach der tatsächlichen Existenz des Mädchenhandels" für "zweitrangig". Nun gut, wer wie Sabelus sämtliche Zeitzeugnisse über internationalen Mädchenhandel, Kinderschänderei sowie Verführung und/oder Vergewaltigung von Jungfrauen und Frauen mehr oder minder unterschiedslos als Konstituenzien eines "Narrativs" relativiert, welches "Ausdruck von Ängsten der bürgerlichen Klasse [?] war", ohne die Realitätshaltigkeit dieser "Ängste"gewichten zu wollen, setzt sich bewusst dem Risiko aus, das Leiden der - hier "weißen" weiblichen - Opfer ebenso zu verharmlosen wie die Schuld der - zumeist männlichen - Täter.

Nun scheint der Autorin allerdings daran gelegen zu sein, der "weißen Sklavin" erst gar nicht ausschließlich die Rolle des Opfers zuzuweisen. Anders als der Chor der damaligen "Reformer/innen, Abolitionist/innen, (Sensations-)Journalist/innen und Filmemacher/innen", die jenes Narrativ schufen, räumt sie die Möglichkeit von freiwilliger Ausübung der Prostitution ein und mag nicht überall Zwang und Gewalt wähnen. Diese Tätigkeit erlaubte den Frauen immerhin "den Aufbruch [&#8230;] aus der häuslichen Sphäre der Familie" und kam dem "weibliche[n] Begehren nach Freizeit und Mobilität, ob in der Wahl des Berufs, des Wohnorts oder einfach der Freizeitvergnügungen" entgegen.

Im Hinblick auf diejenigen Berufe, die seinerzeit allgemein als besonders gefährdend galten ("die Erwerbstätigkeiten der Warenhausangestellten, der 'Konfektioneuse', der Näherin oder der 'Probiermamsell' (die Vorläuferin des Models) sowie generell alle Frauenberufe in der Vergnügungs- und Unterhaltungsindustrie (Kellnerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, 'Chormädchen&#8216;')"), deutet Sabelus auf den Gesichtspunkt hin, dass derartige Tätigkeiten "Frauen auf eine mehr oder weniger selbstbestimmte Art ermöglichten, ihre eigene Existenz zu bestreiten". Und im Ton der Zustimmung zitiert sie sogar eine Studie aus den 1990er-Jahren, derzufolge das Bordell um 1900 häufig als "Ersatzfamilie [&#8230;] fungierte" und die auch andere Vorzüge des Prostituiertenlebens unterstreicht: "Das Leben im Bordell ließ freie Zeit und erlaubte Freizeitbeschäftigungen wie Klavierspiel, Unterhaltung, Gesang und die Lektüre leichter Liebesromane." <B>Kaum Unterschiede mithin zu einem Nonnenkloster. </b>

Ebensowenig wie die "weiße Sklavin' bloßes Opfer von männlicher Gewalt, Geldgier und Triebhaftigkeit und ihr Schicksal prinzipiell ein böses Hinabgleiten in die Sittenlosigkeit war, war der Täter, der "Trafficker", das Scheusal, zu dem ihn die medialen Inszenierungen im Geist der bürgerlichen Sittlichkeits- und Gesundheitsprediger stilisierten. Wenngleich Sabelus keine explizite Ehrenrettung der Zuhälter und Mädchenhändler vornimmt, versucht sie sich doch an einer dekonstruierenden Identifikation derjenigen Diskursstrategien, die damals den "Täter" als das schlechthinnige Negativbild der inkarnierten weißen Unschuld zum diabolischen Dunkelmann werden ließen, wobei sich nicht zuletzt <b>rassistische und antisemitische Stereotype</b> symbolisch artikulierten.

http://www.literaturkritik.de/public/re ... z_id=14183
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz

Benutzeravatar
Marc of Frankfurt
SW Analyst
SW Analyst
Beiträge: 14095
Registriert: 01.08.2006, 14:30
Ich bin: Keine Angabe

Querverweise

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Weitere Text zur White Slavery Dekonstruktion


The Crusade Against Sex Trafficking:
viewtopic.php?p=65677#65677

Buchrezension "Sin in the Second City: Madams, Ministers, Playboys, and the Battle for America’s Soul", by Karen Abbott:
viewtopic.php?p=63390#63390

Jo Doezema: "Weiße Sklavinnen, arme Slawinnen - Das Melodram vom Frauenhandel":
http://www.eurozine.com/articles/2006-0 ... pa-de.html

England 2008: Angebl. Kinderentführung durch Roma entlarvt:
viewtopic.php?p=31141#31141

England 2009: Prostitution and trafficking – the anatomy of a moral panic:
viewtopic.php?p=67599#67599

...

im Thema
www.sexworker.at/menschenhandel = www.sexworker.at/migration





Die Prostitutionsgegner haben auch Menschenhandelsfälle inszeniert/getürkt um fehlende Argumente zu bekommen.
Z.B. der Fall von englischen Autor William Thomas Stead, der 1868 die 13jährige Eliza Armstrong kaufen lies, um dann einen Roman gegen "White Slavery/Menschenhandel" zu vermarkten:
viewtopic.php?p=9415#9415


Auch die zirkulierten Opfer-Zahlen zur Fußballweltmeisterschaft 2006 waren um den Faktor 8.000 übertrieben:
Statt der unterstellten 40.000 Zwangsprostituierten, die jetzt übrigens bei der WM in Südafrika erwartet werden, nachdem zuvor auch schon bei Olympia in Vancouver mit ihnen Stimmung gemacht wurde, konnte ein EU-Bericht (pdf) nach der WM in Deutschland nur 5 tatsächliche Fälle im Deliktsbereich Menschenhandel aufzeichnen:
viewtopic.php?p=10093#10093





.