Wiener Tatort-Krimi macht Stimmung für "Freierkriminalisierung" - Regisseurin Derflinger & Medien formulieren "Frauen kaufen ist nicht OK"
Die Kunden der ausländischen Sexarbeiterinnen kommen nur am Rande vor. Angeblich sollen es auch "echte" Kunden sein, die bei der Produktion durchs Bild laufen.
Nachdem der Verbrennungsanschlag auf die ausgestiegene Sexarbeiterin passiert ist, kommt es zur Razzia im Arbeitsappartment, just in dem Moment, als eine dort auch wohnende Sexarbeiterin ihren Kunden bedient, den sie zuvor aus der Tischmädchen-Bar mitgebracht hatte.
Der Plot hat sein Vorbild in dem Fall von 2009, indem die
Rumänische Sexarbeiterin Florentina Mihai (35) von Bogdan M. aka Cretu zur Zahlung von 3.000 Euro Schutzgeld erpresst worden war und auf der Linzer Straße angezündet wurde, nachdem sie von der Polizei nicht geschützt wurde trotz ihrer vorangegangenen Anzeige.
Über den Kunden in der Filmszene erfahren wir nichts weiteres, als dass wir seine Festname beim Geschlechtsverkehr gezeigt bekommen. Dennoch wird seine Verhaftung mit dem Sondereinsatzkommando martialisch inszeniert und genau diese Einstellung als eines der wenigen ausgewählten Vorschau- oder Promofotos für diesen Wien-Tatort in den üblichen Kampagnen-Medien verbreitet (Foto).
Der gezeigte Typ Prostitutionskunde, der von niedrigen Preisen profitiert (Sexworkerjargon: "Butterbrotfreier"), weil die migrantischen, illegalisierten Sexworker ausgebeutetet und prekarisiert sind, wird als Täter inszeniert (Freierkriminalisierung), obwohl er in der Film-Handlung gar keine Rolle mehr spielt. Ihm wird auch keine Tat nachgewiesen, sondern sie ist ihm bereits als selbstverständlich unterstellt, nach der fragwürdigen moralisch-prostitutionsfeindlichen Logik, es gibt die verabscheuenswürdige Armutsprostitution, also sind die Täter die nachfrageerzeugenden Prostitutionskunden.
Dass die Sexworker auch nachfragen (Geld), und sich die Kunden suchen um ihre Interessen zu verfolgen (Einkommenserzielung) wird ausgeblendet, indem man nur schwache junge weibliche Opfermigrantinnen wahrnimmt.
Was aber ist von diesem Täterbild zu halten, wenn schon das zugehörige Opferbild der
sog. "Zwangsprostituierten" eine sehr umstrittene medial-aufgeblasene Konstruktion ist? -
www.sexworker.at/migration - Eine Prostituierte wie im Film gezeigt steht als erstes unter Zwängen, weil sie vom Staat weder als legale Bürgerin noch als berechtigte Gewerbetreibende anerkannt wird und nicht die Rechte anderer Bürger und Sexworker hat. Alle anderen Ausbeutungselemente können als eine logische Folge dieser defizitären Rechtslage abgeleitet werden. Auch die Tatsache dass ihre Kunden entsprechend aus armen sozialen Schichten angelockt werden. Aber sind arme oder ausländische Menschen und Freier deshalb schon Täter, nur weil sie Sex billig einkaufen oder gar drum feilschen? Sind dann nicht alle Täter, die billige Schokolade, Geflügel, Jeans, Handies, Bücher, Lieferservice... kaufen!!!
Zwar macht die Kommissarin eine coole Aufklärungs-Lektion mit einem der Kunden und belehrt ihn, nachdem sie sich in Zivilkleidung als vermeintliche Sexarbeiterin hat anbaggern lassen, um das ganze Verhaltensrepertoir eines Freiers schonungslos bloszustellen, dass statt 30 Euro gerechterweise 150 Euro für Sex zu zahlen seien. Das ist zwar gut gemeint und ein filmisch nett inzeniertes Engagement für die Sache der Sexworker, aber gleichzeitig auch weltfremd, weil in Milieus wie dem gezeigten das zu zahlen wohl keiner bereit ist, und letztlich auch der Service den Preisen längst angepasst wurde.
Doch diese von Frauen geleitete Tatort-Produktion und ihre Vermarktung spielen sich hier als moralische Instanz auf, indem sie einer feministisch-schwedischen Freierkriminalisierung bildgewaltig das Wort reden.
Mit Hilfe einer anderern Filmstelle in der Tischmädchen-Bar läßt sich zeigen, dass die Realität von Sexwork komplexer oder ambivalenter ist. Dort setzt sich eine Sexarbeiterin neben einen potentiellen Kunden und legt ihren Arm um ihn. Sie will ihn unterhalten, sie kennt ihn möglicherweise als Stammgast der Bar, kennt ihn evt. als ihren Stammkunden, sie will ihn zum Sexdienstleistungskauf annimieren. Das ist sowohl eine selbstbewußte, kaufmännische Handlungsweise als auch gleichzeitig freundschaftlich-kollegiale Geste zwischen Menschen, die in diesem Milieu zu leben sich eingerichtet haben.
Darf eine Filmproduktion oder darf die Öffentlichkeit Gruppen von Sexarbeitern absprechen sich ihre Kunden selbst auszusuchen oder selbst zu entscheiden welche Kunden angenommen werden?
Die Diskriminierung von Sexarbeit beginnt bereits da, wo ein abwertend-negatives Bild vom Kunden gezeichnet wird, z.B. indem mit drastischer Bildsprache unattraktive Männlichkeit oder ärmliche Lebensverhältnisse inszeniert werden. Dort wo Lebensweisenverurteilung an die Stelle von Lebensweisenakzeptanz getreten ist.
Doch hier liegt das grundsätzliche Mißverständnis bezüglich Prostitution, was zugleich den dauerhaften gesellschaftlichen Wertekonflikt mit ihr begründet. Bei der Prostitution treffen sich Menschen nämlich nicht notwendigerweise nach ästethischen Maßstäben, genausowenig wie das am Operationstisch oder der Krankenhausaufnahme eine Rolle spielt.
Als Sexworker suchen wir uns nämlich nicht den schönsten, sondern den, mit dem sich ein Geschäft gut abwickeln läßt. Das ist zwischen den Geschlechtern im sexuellen Kontext zweifelsohne ein Konflikt für einen uninformiert, beobachtenden Außenstehenden, was dann die reflexartige Falschinterpretation nach sich zieht, Sexworker seien Opfer, als Kind mißbraucht, ohne Alternativen oder gezwungen... Dieses kollektiv-mediale Konzept der sog. Zwangsprostitution gilt es zu entlarven als das was es ist, eine reine Abwehrreaktion gegen die Unterschiedlichkeit oder Unverständlichkeit von Prostitution zu den internalisierten Mainstreamnormen und Wunschbildern von romantischer Liebe oder sexueller Begierde.
Solange die einzigartige Arbeit nicht gewürdigt werden kann, werden die Sexworker zu Außenseiten gemacht, d.h. diskriminiert. Damit ist der Betrachter oder Filmemacher der Täter! Aus gutmeinender Aufklärung und Unterhaltung wird Demagogie und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (
GMF).
Sammelthema "Zwangs-Freier-Kriminalisierung":
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1. Hilfe bei Verbrennungsüberfall
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Sexworker brauchen Lebensweisenakzeptanz und Rechte!
Den Rest machen Sexworker dann selbst. Solche Aufklärungsfilmchen re-stigmatisieren. Das ist das letzte was Sexworker gebrauchen können.