Prostitution in Deutschland
aus ausländerrechtlicher Sicht
Übersichtsartikel
verfaßt vom kommunalen Runden Tisch Prostitution der hessischen Stadt
Marburg,
wo auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden aber keine Sexworker mit am Tisch sitzen.
Mit eingefügten ersten Ergänzungen und Links zu den Gesetzen.
1. Drittstaaten-Bürger (nicht EU-Ausland)
Drittstaatsangehörige (Ausländerinnen und Ausländer, auf die die Regelungen des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von EU-Bürgern nicht anzuwenden sind) unterliegen den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und benötigen für Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet eines
Aufenthaltstitels (Visum, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis).
Der Aufenthaltstitel bestimmt, ob eine
- Beschäftigung oder eine
- selbständige Erwerbstätigkeit erlaubt ist.
Zwar verfügt das
Aufenthaltsgesetz (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet) mit § 21 über eine eigenständige Rechtsgrundlage zur Einreise und Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit, jedoch sind die darin aufgeführten Kriterien für die Zulassung einer selbständigen Tätigkeit als Prostituierte nicht(?) erfüllbar.
Ergänzung: Die Kriterien des
§ 21 sind:
- übergeordnetes wirtschaftliches Interesse am Migrationszielort in Deutschland (vgl. Spezialitätenkoch)
- positive Auswirkung auf die Wirtschaft (wird der Prostitution abgesprochen)
- genügend Eigenkapital mitbringen (Investoren sind gewünscht aber keine Wirtschaftsflüchtlinge)
Eine Einreise zum Zwecke der Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsvertrages ist ebenfalls nicht möglich, da die
Beschäftigungsverordnung (Verordnung über das Verfahren und die Zulassung von im Inland lebenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung) hierfür keine Rechtsgrundlage bietet.
Der Vielzahl der Drittstaatsangehörigen – überwiegend Frauen –, die im Bundesgebiet in ausländerrechtlicher Hinsicht legal der Prostitution nachgehen, wurden zuvor aus
sonstigen Gründen (vorrangig aufgrund der Familiennachzugsbestimmungen, Eheschließungen, [Geburt eines Kindes?]) Aufenthaltstitel erteilt, die die Ausübung jeglicher Beschäftigung / Erwerbstätigkeit Kraft Gesetzes erlauben.
2. EU-Bürger
Anders sieht die Situation für Prostituierte aus Ländern der Europäischen Union aus.
FreizügigG/EU (Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern)
In
§ 2 FreizügG/EU ist das Recht auf Einreise und Aufenthalt sowie die Freizügigkeitsberechtigung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder selbständig Erwerbstätige geregelt.
Für die osteuropäischen Beitrittsstaaten wurde bislang
nur für Selbständige, nicht aber für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die volle Freizügigkeit hergestellt (vgl. Entsendegesetze).
Nach
§ 5 Abs. 5 Freizüg/EU kann die Ausländerbehörde verlangen, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1, also das Recht auf Freizügigkeit, drei Monate nach der Einreise glaubhaft gemacht wird.
Die Behörde darf (
§ 5 a) für die Ausstellung der
Freizügigkeitsbescheinigung den gültigen Personalausweis oder Reisepass, und - wenn sie/er nicht Arbeitssuchende/r ist -
- eine Einstellungsbestätigung oder eine Beschäftigungsbescheinigung des Arbeitgebers,
- einen Nachweis über eine selbständige Tätigkeit und
- einen Nachweis über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verlangen.
Erwerbstätigkeit ist grundsätzlich jede gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit.
EU-Bürger haben gem. Art. 43 EG-Vertrag – siehe auch Richtlinie des Rates EG 73/148/EWG (Niederlassungsfreiheit) – das Recht, in einem anderen EU-Staat eine selbständige Erwerbstätigkeit entsprechend den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Staatsangehörigen aufzunehmen und auszuüben sowie das Recht, Unternehmen zu gründen und zu leiten.
Im
Fall „Jany“ (EuGH, Urteil v. 20.11.2001, Rs. C-268/99, Slg. 2001, I-8615 - Aldona Malgorzata Jany / Staatssecretaris van Justitie) hat der
EuGH dieses
Recht auch für die Ausübung der selbständigen Prostitution anerkannt, sofern – entsprechend dem Diskriminierungsverbot gem. Art. 12 EGV – die Ausübung der Prostitution für die Staatsangehörigen des EU-Aufnahmestaates zugelassen
oder geduldet ist. Da die Prostitution in Deutschland nicht verboten ist, können EUAngehörige nicht eingeschränkt werden.
Freizügigkeit genießen auch die Staatsangehörigen der
osteuropäischen Beitrittsstaaten wie
Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakische Republik und Slowenien ab 01.05.2004 und
Bulgarien und Rumänien ab 01.01.2007.
Mit Ausnahme des Baugewerbes existieren auch für Angehörige der osteuropäischen Beitrittsstaaten bei selbständigen Tätigkeiten keine Einschränkungen.
Konsequenz ist, dass Prostituierte aus den Ländern der Europäischen Union - zum großen Teil aus den osteuropäischen Ländern - ihre Tätigkeit nicht als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ausüben, sondern selbständig, ohne jedoch in der Regel den gewerberechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Es liegt im allgemeinen und im besonderen Interesse der Ausländerbehörden, dass Prostituierte ihre Tätigkeit gewerberechtlich erklären und wie andere Gewerbetreibende ihre z. B. steuerrechtlichen Verpflichtungen erfüllen.
Als problematisch wird der so genannte „Drei-Monatszeitraum“ gesehen, in dem sich neu eingereiste Angehörige eines Landes der Europäischen Union zur Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhalten können, ohne sich bei der Behörde melden zu müssen. Erst nach Ablauf von drei Monaten wird die Aufenthaltserlaubnis-EU, jetzt die Freizügigkeitsbescheinigung nach dem Freizügigkeitsgesetz-EU, benötigt. Wird keine Arbeitsstelle gefunden bzw. keine Arbeitserlaubnis erteilt und wird ansonsten auch kein anderer Freizügigkeitstatbestand erfüllt, besteht
Ausreisepflicht.
In der Regel ist in den Ausweispapieren
kein Einreisedatum vermerkt, so dass ohne jeglichen Kontrollmechanismus dieser Drei-Monatszeitraum bei einem Ortswechsel im Bundesgebiet erneut in Anspruch genommen werden kann.
Sowohl die Bordellbetreiber als auch die in der Prostitution tätigen Frauen nutzen dies als Legitimation, sich nicht bei den Behörden zu melden.
Durch das in dem „Rotlichtmilieu“ übliche
Rotationsprinzip verlässt die Prostituierte in der Regel in diesem Drei-Monatszeitrum das Etablissement, um in einer anderen Stadt, ebenfalls unter Inanspruchnahme des Drei-Monatszeitraums, tätig zu werden. Der tatsächliche Aufenthalt wird verschleiert und ist für die Behörde nicht nachvollziehbar, weil weder melderechtliche, gewerberechtliche noch ausländerrechtliche Anmeldungen erfolgen.
Aus Sicht der betroffenen Prostituierten und Bordellbetreiber ist es von Vorteil, dass den Behörden die Existenz von Personen aus dem „Rotlichtmilieu“ nicht bekannt ist.
Werden gesetzliche Bestimmungen nicht eingehalten - melderechtliche Anmeldepflichten, die Beantragung der Freizügigkeitsbescheinigung oder Verpflichtungen gegenüber den Finanzbehörden - so wird nicht einmal der Verstoß festgestellt werden können, weil die Personen für die Behörden nicht existieren.
Für ausländische Frauen, die aus einem EU-Ostland hier unkontrolliert der Prostitution nachgehen, kann dies im schlimmsten Fall aber auch bedeuten, dass Menschenhändler mit der „Ware Frau“ ein leichtes Spiel haben. Verschwindet eine dieser Frauen, aus welchen Gründen auch immer, würde dies den deutschen Behörden nicht einmal auffallen, weil nicht bekannt ist, dass sie sich in Deutschland aufhalten.
Das EU-Recht gewährt den EU-Bürgern Freizügigkeit. Aus diesem Grund haben die Ausländerbehörden keine gesetzlich abgedeckten Restriktionen für diesen Personenkreis. Würde hingegen aus gewerberechtlicher Hinsicht eine Verpflichtung zur Anmeldung der Prostitution bestehen, bedeutet dies für die Prostituierten sicherlich Pflichten. Es besteht aber auch der wesentliche Vorteil des Eigenschutzes, weil die Prostituierten durch die Registrierung bei bundesdeutschen Behörden, so auch der Ausländerbehörde, bekannt sind.
Die praktizierte Verschleierungstaktik, soeben erst eingereist zu sein, ist mit der Verpflichtung, das Gewerbe vor der Gewerbeausübung anzumelden, besser zu überwachen.
Aus:
Gewerberechtliche Regulierung von Prostitutionsstätten,
Runder Tisch „Prostitution“ der Stadt Marburg
Rathaus, 35035 Marburg
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=54569#54569
Nachtrag:
Ausländerrechtliche Aspekte
Konferenz der Innenminister 2010 in Bremen
zu 2.
Soweit es sich bei Prostituierten um EU-Bürger/-innen handelt, besteht grundsätzlich Freizügigkeit.
Die
Freizügigkeit erstreckt sich auch auf Angehörige von EU-Bürgern/-innen, die selbst nicht Angehörige eines EU-Staates sind.
Freizügigkeitsberechtigt ist, wer sich z.B. als Arbeitnehmer oder zur Arbeitssuche hier aufhält oder zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt ist (§ 2 FreizügG/EU).
Ob diese [Verwandschafts-]Voraussetzungen gegeben sind, wäre bei dem in Rede stehenden Personenkreis [Sexworker] im Einzelfall zu prüfen.
Soweit es sich um EU-Bürger/-innen aus den osteuropäischen Beitrittsländern handelt, bedarf die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zur Zeit noch zusätzlich einer
Arbeitserlaubnis.
Bei EU-Bürger/-innen ist grundsätzlich vom Bestehen der Freizügigkeitsvoraussetzungen auszugehen, wenn sie erklären, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
Eine Überprüfung der Angaben findet nur statt, wenn es Zweifel an der Erklärung gibt. Bestehen solche Zweifel aufgrund von Erkenntnissen, z.B. der Strafverfolgungsbehörden, prüft die Ausländerbehörde, ob die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht vorliegen. Die Ausländerbehörde kann die Glaubhaftmachung der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen durch Vorlage von Nachweisen verlangen.
Dies ist jedoch
erst drei Monate nach der Einreise zulässig; davor besteht gem. § 2 Abs. 5 FreizügG/EU ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht.
Liegen nach dem Ergebnis der Prüfungen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nicht vor, stellt die Ausländerbehörde dies fest und teilt es den Betroffenen mit. Die
Ausreiseverpflichtung entsteht mit der Feststellung der fehlenden Freizügigkeitsvoraussetzungen.
zu 1.
Ausländer/-innen aus Nicht-EU-Staaten benötigen für die Einreise und den Aufenthalt einen Aufenthaltstitel.
Dieser ist immer an einen bestimmten Aufenthaltszweck (z.B. Familiennachzug, Studium, Erwerbstätigkeit) gebunden. Der Aufenthalt zum Zwecke der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ist auf die in der Beschäftigungsverordnung und der Beschäftigungsverfahrensverordnung genannten Ausnahmefälle beschränkt.
Die Ausübung der Prostitution als unselbständige Tätigkeit gehört nicht zu diesen Ausnahmefällen.
Wurde ein Aufenthaltstitel zu einem anderen Zweck als der Ausübung einer Erwerbstätigkeit erteilt, ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entweder kraft Gesetzes erlaubt oder sie kann unter Beteiligung der Arbeitsagentur von der Ausländerbehörde erlaubt werden. In jedem Fall muss der Aufenthaltstitel erkennen lassen, ob und ggf. welche Erwerbstätigkeit erlaubt ist.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass
die Ausübung der Prostitution im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausländerrechtlich jedenfalls nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Quelle:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=91358#91358
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