Eine kritische Auseinandersetzung mit Alice Schwarzers
Dossier über die Prostitution in EMMA
von der jungen Prostituierten
PAULA
Meiner Seite, den Prostituierten, kommt diese Bequemlichkeit nun teuer zu stehen. Auf unserem Schweigen ist nicht unsere Akzeptanz gewachsen, sondern unser Missverständnis. EMMA, „die Zeitschrift von Frauen für Menschen“, feiert ihren 30. Geburtstag mit einem Prostitutionsdossier, das nicht nur methodisch blamabel und inhaltlich falsch ist, sondern auch mich, als eine Prostitutierte von vielen, persönlich beleidigt.
Das Dossier ist geschickt in der medial vielbeachteten Geburtstagsausgabe platziert. Prostitution und ihre politische Behandlung sind EMMA einer der letzten großen Dornen im Auge. Alice Schwarzer verkündete, als Altersgeschenk Deutschland die Abschaffung der Prostitution schenken zu wollen. Zwischen prominenten Glückwünschen aller journalistischen und politischen Ränge und Namen, mitten in die Takte der Festmusik und die euphorischen Rückblicke auf das bereits Erreichte setzt EMMA eine laute Wehklage auf die Vergewaltigung der Weiblichkeit in der Prostitution.
Inhaltliche Grundlage für den ersten Artikel des als zweiteilig angekündigten Dossiers ist der Besuch von Alice Schwarzer und Bettina Flitner bei der Berliner Domina Ellen Templin. Diese Frau sagt: “Eine Frau, die sich prostituiert, hatte schon vorher eine zerstörte Seele.“ Und EMMA nickt beifällig, indem sie dieses Zitat noch einmal fett zwischen die Zeilen setzt.
Neun Seiten später zerrt EMMA mit Suggestivfragen und übereifriger Interpretation aus einem Interview mit dem Hamburger Hauptkommissar Detlef Ubben die Aussage heraus, es gebe keinen Unterschied zwischen einer „Prostituierten“ und einer „Zwangsprostiuierten“. Gezwungen seien wir alle. Wenn ich mich nicht so fühle, täusche ich mich.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich EMMA mit ihrer Prostitutionsdarstellung sowohl handwerklich als auch inhaltlich disqualifiziert hat.
Der ideologische Eifer der EMMA muss die Realität zensieren und Scheuklappen entwickeln, weil die Wirklichkeit ihre theoretische Haltung nicht stützen kann.
Es genügt nicht, eine einzige prostitutionserfahrene Frau zu interviewen, noch dazu aus dem ausschließlich dominanten Bereich (www. Studio-weiß.de), um deren Äußerung dann wiederzugeben als die gleich zweifach unzulässige Verallgemeinerung, EMMA habe zugehört, „was die Frauen in der Prostitution selbst zu sagen haben.“ Und es ist unsauber, die differenzierten Antworten eines Hauptkommissars so aufzubereiten und mit solchen Überschriften zu präsentieren, dass der Interviewte mutwillig verplättet wird. Von einer Reflexion über den Erfahrungshintergrund des Mannes ganz zu schwiegen. Hamburg ist im nationalen Vergleich bezogen auf die Prostitution ein ausgesprochenes Problemgebiet, dessen Situation sich nicht auf andere deutsche Städte übertragen lässt. Darüberhinaus kommt die polizeiliche Arbeit nur dort mit der Prostitution in Berührung, wo diese Probleme hat. Hier begeht auch Herr Ubben den Fehler, von dem ihm zugänglichen Ausschnitt auf die gesamte Prostitution zu schließen.
EMMA stört das wenig. Sie zitiert ihn: „95% aller Prostituierten in Deutschland sind Zwangsprostiuierte.“ Das ist falsch. Ich warte nicht mit neuen Zahlen auf, weil auch ich nur einen Ausschnitt der Prostitution kenne. Aber auch danach kann ich sagen, dass die Einschätzung von 95% zu hoch gegriffen ist. Überdies ist der inflationäre Gebrauch des Begriffes „Zwangsprostitution“ kontraproduktiv. Indem die freiwillige Prostitutierte sprachlich gleichgeschaltet wird mit einem tatsächlich hilfsbedürftigen Opfer von Menschenhandel, wird das Verbrechen, einen Menschen zur Prostitution zu zwingen, indirekt verharmlost, weil die Sensibilität für die Brisanz und Dimension dieser Menschenrechtsverletzung sinkt.
Diese inhaltliche Gewalt zum Thema ergibt sich aus EMMAs Prämisse, Prostitution sei grundsätzlich ein Ausdruck patriarchaler Gewalt und sowohl Symptom als auch Instrument der Unterdrückung weiblicher Sexualität im Speziellen und damit der Frauen im Allgemeinen. Dass diese Theorie viel zu kurz greift, liegt auf der Hand. Sie bezieht sich ausschließlich auf die weibliche heterosexuelle Prostitution und berücksichtigt nicht die lesbische, schwule und die männliche heterosexuelle Dienstleistung. Darüberhinaus verschweigt sie die verschiedenen Spielarten innerhalb der weiblichen heterosexuellen Prostitution, die z.B. in weiblich-dominanten Inszenierungen keine traditionellen, patriarchalischen Geschlechterentwürfe abbilden.
Die grundsätzliche Unterstellung, Prostitution sei frauenfeindlich, ist auf mehreren Ebenen angreifbar. EMMA leitet aus der Überzeugung, die Idee, „einen Menschen zu kaufen“, sei eine an sich schon verworfene, ab, die Prostitution könne sich also auch konkret niemals akzeptabel gestalten. Die theoretische Überschrift ignoriert, dass sich darunter sehr wohl, in der arglosen Praxis, einzelne Schicksale gut einrichten können. Zum Zweiten manövriert sich EMMA selbst in ein Paradoxon, indem sie sich mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass in einem so frauenfeindlichen Beruf sehr viele Frauen arbeiten. Dieser Konflikt kann nur zu Ungunsten der Prostitutierten gelöst werden, auf Kosten ihrer Selbstreflexion und Lebensfähigkeit. Letzten Endes auf Kosten ihrer Würde. Denn nur Opfer sind so unterdrückt und zerstört, sind sich so wenig im Klaren über ihre wahren Motivationen, usw., dass sie eine Situation tragen, die sie verachtet.
EMMA kann ihre Theorie nur halten, indem sie alle Prostitutierten als Opfer abstempelt. Das ist mehr als ein beleidigendes Klischee. Es ist eine gefährliche Unterstellung, weil es einer echten Diskussion und Mitteilung seitens der Prostituierten entgegenarbeitet.
Darüberhinaus: Gehen wir EMMA zuliebe von nur 5% freiwilligen Prostituierten aus. Und von 400.000 Prostituierten deutschlandweit. Dann arbeiten deutschlandweit 20.000 Prostituierte, die nicht aussteigen möchten. Das ist immer noch eine Größenordnung, die eine Theorie nicht ausblenden kann. (2004 schätzte die UNO deutschlandweit 200.000 freiwillige Prostituierte, ebenso existieren Schätzungen von 280.000, wobei unterschiedliche Definitionen von Zwangsprostitution eine Rolle spielen mögen.) Wie funktionieren diese Frauen? Sind sie noch zerstörter als jene 95%, die sich wenigstens im Klaren darüber sind, dass sie aussteigen wollen? Sind die 5% die wahren Opfer, besinnungslos vor Elend? Man muss zynisch sein, um das zu behaupten.
20.000 Frauen arbeiten zufrieden in der Prostitution. Diese Frauen fühlen sich nicht deshalb nicht unterdrückt, weil sie zerstörte Seelen haben, sondern weil sie nicht unterdrückt werden. Sie allein bestimmen, wann sie wie lange mit wem was machen. Die vier Kriterien, die Art, die Dauer, den Umfang und das Gegenüber selbst zu wählen, garantieren, dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau nicht angetastet wird.
Ich habe mich freiwillig für das Experiment meiner Prostitution entschieden und diese Arbeit fortgesetzt, weil sie mir gefällt. Ich wurde weder sexuell missbraucht noch seelisch zerstört, bin nicht drogenabhängig, nicht sexsüchtig, nicht einmal frigide. Ich hatte noch nie einen Zuhälter, niemand hat mich verkauft.
Das Wichtigste daran ist: Ich bin mit dieser Situation nicht allein. Viele Frauen erleben ihre Prostitution nicht als einen Niedergang, sondern als Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Allen theoretischen Untergangsphantasien zum Trotz: als einen Höhenflug ihrer Freiheit.
EMMA stellt nicht nur meine Seite, die Prostituierten, zu einseitig dar, sondern auch die Freier. Sie garniert das Dossier mit „Originalzitaten aus dem Internet“, d.h., sie zitiert Freier, die sich in einschlägigen Onlineforen über ihre Erfahrungen austauschen. Kein Wort darüber, dass diese Erfahrungen von den Männern ganz einfach erfunden sein können, dass journalistische Skepsis gerade gegenüber dem Medium Internet angebracht ist, dass die Auswahl notwendig rein subjektiv geschehen musste. Auf einer höchst instabilen empirischen Grundlage wird die Botschaft vermittelt, alle Freier seien sadistische Sexmonster. Das ist falsch.
EMMAs vielbemühte These, „der Freier“ suche nicht Sex, sondern Macht, ist zu glatt, um wahr zu sein. Wieder einmal verweigert sich das Thema Prostitution einer pauschalen Theorie und dem ideologischen Überbau, sie sei wahlweise Ausdruck sexueller Gewalt oder Befreiung. Meine eigene Erfahrung bietet mir kein einziges Beispiel für einen rücksichtslosen Freier.
EMMA hat sich eingeschossen auf einige hochgepeitschte Gespenster. Der Zuhälter ist auch eine undifferenzierte Figur. Über Ausbeutung muss ich hier nicht reden. Ich habe meinem Verständnis nach keinen Zuhälter, dennoch verdient auch noch eine andere Frau an meiner Arbeit, die Chefin meines Bordells. EMMA wüde diese Konstellation als Zuhälterei beschreiben. In Wahrheit ist ein Mensch, der die Räume und Arbeitsutensilien stellt, der die Vermittlung organisiert und in schwierigen Situationen sofort da ist, aber die notwendige Voraussetzung dafür, dass ich sicher in der Prostitution arbeiten kann. Es geht wieder einmal nicht um das Ob – es geht um das Wie. Ich werde von niemandem ausgenutzt und alle Freiheiten und Rechte bleiben bei mir.
Ich behaupte damit nicht, das sei immer so. Die Prostitution gibt es nicht. Sie hat so viele Realitäten und Gesichter, wie ihr Menschen begegnen. Alles hängt davon ab, wo man hinhört. Um sich aber qualifiziert über sie äußern zu können, muss man überall hinhören.
In einem Kommentar zur aktuellen Berliner Ausstellung „Sexwork“ schreibt die Philosophin und Künstlerin Judith Siegmund:“ (...) alle Versuche, fundamental über Prostitution nachzudenken, führen auf eine unauflösbare Vielfalt von Erscheinungsformen, die das Thema eindeutiger Erklärung und Bewertung entzieht.“ So ist es. Es geht nicht darum, hier die Gegenwahrheit zu verkünden. Die Diskussion ist nicht zu beenden, bevor sie angefangen hat. Vielmehr kann der erste Schritt nur sein, die verschiedenen Realitäten der Prostitution wahrzunehmen. Dem Thema ist nicht mit einem einzigen Konzept beizukommen.
Die hiermit geforderte differenzierte und im theoretischen Zugriff vorsichtige Auseinandersetzung bedeutet nicht eine vorbehaltlose Bejahung der käuflichen Sexualität. Sie macht ein wie auch immer gestaltetes Diskussionsergebnis erst möglich und glaubwürdig. EMMA gäbe ihren Trumpf eines Interesses am Thema nicht aus der Hand, wenn sie sich den Facetten der Prostitution stellen und deren gelungene, in der Praxis zufriedenen Seiten anerkennen würde. Sicher müsste sie ihre Pauschalurteile revidieren, wäre im Gegenzug aber wieder „im Rennen“. EMMA rühmt sich nicht umsonst, ein mutiges und unabhängiges Blatt zu sein. Grundsätzlich ist geistige Freiheit ein Luxus, den die Prostitutionsdebatte, wie jede andere Debatte auch, gut brauchen kann. Es wäre schade, bliebe EMMAs Stimme in ihren schönen Anlagen zum Singen fruchtloser Etüden verdammt. So, liebe EMMA, hört niemand lange hin.