Ein falsches Bild von 'Sex & Crime' wird konstruiert und verbreitet
(Nachtrag: Hier jetzt die Panorama-Sendung von 2013, die ihre Falschberichterstattung und die daraus folgende Medienhetzte gegen Sexwork und Sexworker quasi "wiedergutmachen" möchte www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=137839#137839 )
Klar das Thema Prostitution ist viel zu komplex für einen nur 10-minütigen TV-Beitrag. Und wenn dann auch noch nach einem strengeren Prostitutionsgesetz in weltwirtschaftlich härter gewordenen Zeiten gerufen werden soll...
Hier ein paar Anmerkungen, weil wir glauben dass zentrale Aussagen im Beitrag falsch bzw. viel zu einseitig sind:
- Falsch: "20 Minuten Sex für 20 Euro - der Spartarif im Discountpuff"
Besser: Klar gibt es Billigangebote, so wie auf jedem anderen freien Markt auch. Insbesondere bei Billiglohnbranchen wie Leiharbeit, prekärer Arbeit etc. Und der Markt der Sexarbeiter genießt nunmal keinen Schutz wie etwa der von Bezirksschornsteinfegermeistern und Ärzten. - Falsch: leitender Kriminaldirektor Klaus Bayerl, Augsburg: "das Gesetz schützt offenbar vor allem Zuhälter"
Besser: Nur Sexarbeiter, die sich nicht auskennen, neu sind oder illegal arbeiten, sind auf Zuhälter angewiesen und von ihnen ausbeutbar. Da wo Chefs, Bekannte, Lebensgefährte, Geschäftspartner einen Markt gut kennen und helfen Geschäftserfolg zu sichern, werden sie auch mitverdienen. Da wo Sexarbeiter und ihre Partner und Bordellbetreiber nicht stigmatisiert und kriminalisiert sind, da gibt es auch keine mißbrauchenden Zuhälter, sondern Arbeitsteiligkeit.
Allerdings hat bereits Karl Marx die Aufteilung des Profits, d.h. das Einbehalten des Mehrwerts durch den Unternehmer als Unternehmerlohn und somit abgezogen vom Lohn des Arbeiters als Ausbeutung bezeichnet. Es hat den Anschein, dass mit solchen Berichten das negative in der Welt einseitig auf die Prostitution abgeladen werden soll.
Der Menschenhandelsparagraph im Strafgesetzbuch kriminalisiert volljährige Sexworker und Migranten, die noch keine 21 Jahre überschritten haben, per se als Menschenhandelsopfer. - Falsch: "Frauen in der Prostitution"
Besser: Frauen, Transsexuelle und Männer in der Sexarbeit. - Falsch: "dürfen Bordellbetreiber den Prostituierten sogar Anweisungen erteilen und wir als Polizei können nur zuschauen."
Besser: Die Rechtsprechung hat genau herausgearbeitet was geht innerhalb von Absprachen zur Betriebsorganisation (Arbeitszeit, Kleidung, Mietabgaben) und was nicht wg. sexueller Selbstbestimmung. - Falsch: "Milliardengewinne stecken sich oft [...]betreiber [...] in die Tasche"
Besser: Für Supermärkte wie Aldi und Co, Zeitarbeitsfirmen und Firmen mit Subunternehmern gilt völlig analoges [vgl. Monitor-Bericht über Hermes Zustelldienst des Milliardärs Werner Otto oder geschlossene Lidl-Bäckerei Weinzheimer nachdem Günter Wallraff dort gearbeitet und berichtet hat]. Aber sind deshalb alle Handelshäuser oder Bäckereien Diebe?
Der größte Anteil in Sexdienstleistungspreisen sind Mietkosten. Der größte Anteil in Mieten sind Kapitalkosten (Zinsen). Soll man da jetzt die Banken, auch weil sie Immobilienkredite für Bordelle ausgereicht haben, schuldig sprechen? - Falsch: EU finanzierte Studie von Prof. Axel Dreher: "In Deutschland, wo Prostitution legal ist, ist der Markt 60 Mal größer als in Schweden, wo Prostitution verboten ist. Gleichzeitig hat Deutschland rund 62 Mal so viele Opfer von Menschenhandel wie Schweden, obwohl die Bevölkerung weniger als zehn Mal so groß ist"
Besser: Solange die Branche noch nicht voll akzeptiert und transparent ist, gibt es keine verläßlichen Zahlen für solche Behauptungen und Vergleiche. Und sowas wird behauptet in einer fragwürdigen Studie aus dem Jahre 2011 basierend auf veralteten Studien mit Schätz-Zahlen von 2004 und 2006, die um den Faktor "30 x" übertrieben sind zu den tatsächlichen Opfer-Fallzahlen, die das Deutsche BKA jährlich veröffentlicht (siehe zwei Postings weiter unten).
Prof. Axel Dreher e.a.: "The problem here lies in the clandestine nature of both the prostitution and trafficking markets, making it difficult, perhaps impossible, to find hard evidence establishing this relationship. Our central finding, i.e., that legalization of prostitution increased trafficking inflows, is therefore best regarded as being based on the most reliable existing data, but needs to be subjected to future scrutiny."
[Quelle ist diese fragwürdige Studie (s.u.): Does Legalization of Prostitution Increase Human Trafficking?
http://www2.lse.ac.uk/geographyAndEnvir ... tution.pdf Seite 20 f.]
Auch sehen die Autoren, dass die Studie nur scheinbar Argumente gegen legalisierte Prostitution liefert, wenn sie feststellen: ...benefits that the legalization of prostitution might have on those employed in the industry: Working conditions could be substantially improved for prostitutes...
Wir gehen davon aus, dass die Studie durch die Sendung schlicht "mißbraucht" wurde (s.u.). - Falsch: "ein Gesetz, das gut gemeint war, jedoch den Betroffenen schadet."
Besser: Das Gesetz schadet nur deshalb, weil es in manchen Bundesländern in weiten Bereichen gar nicht umgesetzt wurde.
Die herrschenden Mängel beschreiben wir vom Sexworker Forum in unserem Schattenbericht an die UN:
http://www2.ohchr.org/english/bodies/ce ... many46.pdf - Falsch: hohe Kriminalität in der Prostitution
Besser: Der Blick ins "Bundeslagebild Menschenhandel" des BKA spricht eine andere Sprache. 470 abgeschlossene Verfahren, 12 % weniger als im Jahr davor. Das ist bei geschätzten 200.000-400.000 Sexworker weniger als 1 Promille.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=81150#81150
Quelle - Falsch: Annie Brandt-Elsweier, Ex-MdB, SPD: "1. Ziel war die Abschaffung der Sittenwidrigkeit"
Besser: Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit war Gesetzesziel und -begründung, aber sie wurde NICHT in den Gesetzestext hineingeschrieben.
www.sexworker.at/prostg - Falsch: "es hat sich alles verschlechtert seit Einführung des ProstG"
Besser: In dem letzen Jahrzehnt fanden epochale Umwälzungen statt. Nicht nur erstmals hat ein Prostitutionsgesetz die Sexarbeit legalisiert (2002), sondern der kommunistische Ostblock hat sich aufgelöst und zuvor ungeahnte Migrationsmöglichkeiten sind entstanden (EU Freizügigkeit 2007). Das kapitalistische, marktradikale Prinzip hat sich enorm ausgebreitet. - Falsch: "die Mädchen aus dem Ostblock geben sich für wenige Euros her", "sie gelten als billig und willig"
Besser: Für viele Sexarbeiter aus armen Regionen deckt ein niedrigpreisiger Verdienst die Lebenshaltungskosten eines langen Zeitraumes in ihrer Heimat, ist also etwas sehr wertvolles.
Sexarbeit ist eine sehr effiziente, schnelle, niedrigschwellige, flexible Arbeit. Es müssen nicht erst ausländische Zeugnisse anerkannt werden. *lach*
Wenn die Polizei keine Frauen findet, die bereit sind gegen ausbeuterische Vermieter und Betreiber auszusagen, kann das auch daran liegen, dass sich für die meisten das Verhältnis aus Arbeitseinsatz, inkaufgenommenen Umständen und herausgezogenem Profit rechnet. Diese Menschen dann ungefragt dennoch als Opfer zu markieren wäre Paternalismus. - Falsch: "Gesundheits-Check wurde abgeschafft"
Besser: Zwangsuntersuchung mit invasivem periodischem Genitalcheck und Keimscreening gemäß Bundesseuchengesetz wurde abgeschafft, weil erkannt und wissenschaftlich nachgewiesen wurde nach der AIDS-Krisenbewältigung der 70er Jahre, dass freiwillige Gesundheitsprävention sinnvoller ist (IfSG). Leider sind die bestehenden Angebote für Sexarbeiter nach der Gesetzesnovelle zusammengespart worden und heute sehr defizitär wie diese Diplomarbeit zeigt:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=64416#64416 - Falsch: "Das Gesetz sollte die Frauen besser stellen, nun profitieren die Bordellbetreiber und Freier"
Besser: Viele (kleinere) Bordelle werden von Frauen selbst geführt, wenn sie nicht wie in Berlin systematisch geschlossen werden und Behörden nur wenige 'pflegeleichte' Großbordelle bewilligen (FKK-Clubs: Artemis Berlin, Paradise Stuttgart).
Die Vielschichtigkeit und Komplexität des Prostitution-Business führt fast immer zwangsläufig zur Ausdifferenzierung in Sexdienstleister, Werbefachleute, Personalleute, Reinigungsfachkräfte, Vermietungs-Manager und Kapital-Investoren. Dass Serviceberufe in unserer Gesellschaft eher niedrigbezahlte Frauenjobs sind und die höherbezahlten Manager eher Männer, ist aber kein Problem von Bordellen und Sexarbeit, sondern von Herrschaft und Patriarchat.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=29962#29962
Bordelle und Prostitution stellvertretend abzustrafen, um das Patriarchat zu heilen, das ist der scheinheilige Weg den die Schweden uns mit viel Propaganda und geschönten Statistiken verkaufen wollen.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=912 - Falsch: "Schlimmste Auswüchse und menschenunwürdige Bedingungen finden sich in Flatrate Bordellen"
Besser: Die meisten Sexarbeiter wissen und wählen in welcher der vielen möglichen Formen sie arbeiten (Straße bis Nobelagentur). Sexworker sind sehr mobil und wechseln Arbeitsstellen und Arbeitsformen häufig. Wer die "Partyatmosphäre" der all-inclusive Clubs mag und abkann, soll das tun dürfen, solange die Arbeitsbedingungen und Entlohnung transparent und fair sind. Wer privat oder individuell in Abhängigkeit und Ausbeutungssituationen gerät sollte niedrigschwellige, nichtverurteilende Hilfsangebote finden können, damit sich erst keine intransparenten und unfairen Strukturen bilden können. "Gebt den Sexworkern Rechte gegen Unrecht!"
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=4869 - Falsch: "Kontrollen gibt es nicht"
Besser: Es gibt kaum eine andere Branche, wo die Polizei, Milieuaufklärer, Scheinfreier, Zoll, Steuerfahndung mit regelmäßig unregelmäßigen Razzien, Gesundheitsamt, Sozialberatung, kirchliche Hilfsvereine, Sekten, Medien und nicht zuletzt auch die zahllosen, zahlenden Kunden deutlicher hineinschauen und hineinwirken können als in Prostitutionsbetriebe (ProstG, StGB, EGStGB, BauGB, OWiG, IfSG, PolG, Aufenthaltsgesetz, GastG...). Häufige stigmatisierende und teilweise menschenverachtende bis traumatisierende Razzien, genannt 'nationale Kontrolltage', haben jedoch die phantasierten abertausenden Sexsklaven und Menschenhandelsopfer nie finden können.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=1062 - Falsch: "Deutschland ist der größte Puff Europas geworden"
Besser: Deutschland ist die größte Volkswirtschaft der EU und hat neben Holland und der Schweiz eines der liberalsten Prostitutionsgesetze.
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=949 - ...
www.bw7.com/forum/showpost.php?p=377752&postcount=11
Die Sendung:
Liberales Prostitutionsgeesetz
Panorama über ein Gesetz, das gut gemeint war, jedoch den Betroffenen schadet.
von Sonja Kennebeck und Tina Soliman
Panorama.de - Sendung vom 29. September 2011:
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/ ... on129.html
Reißerische Ankündigung:
www.presseportal.de/pm/6561/2121104/eu- ... ionsgesetz
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=104756#104756 (SW-only)
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=104814#104814
Mit Kommentarfunktion:
www.ndr.de/apps/php/forum/showthread.php?t=53575
Die Forschung:

Menschenhandel-Forschungsgruppe Uni Göttingen/LSE London
Entwicklungsökonom Prof.Dr. Axel Dreher (jetzt weg nach Heidelberg), seine Doktorandin Dr. Seo-Young Cho
www.human-trafficking-research.org
www.uni-goettingen.de/de/3240.html?cid=3460
www.uni-goettingen.de/en/204469.html
Finanziert von EU Kommission
(the Prevention and Fight against Crime Programme, Directorate-General Justice, Freedom and Security)
324.000 Euro für 2 Jahre 2010-11:
Projekt „Indexing Trafficking in Human Beings: Gauging its Trends, Causes and Consequences in the European Dimension“
Ein „Composite Index of Trafficking in Europe (CITE)“ wurde konstruiert z.B. aus der United Nations Office on Drugs and Crime Datenbank in Wien. UN-ODC ist bekannt für Verurteilung von Prostitution und informeller Migration.
In einen Index kann man fast alles reinrechnen (garbage in garbage out). Die EU glaubt wohl nur der Statistik die sie selbst gefälscht hat. *lol*
(Ob die EU uns in Sachen Menschenhandel weniger belügt als bei Euro-Geldpolitik? Prof. Stefan Homburg spricht Wahrheiten mutig aus: "Regierungschefs der Euro-Zone und EZB haben alle geltenden Stabilitätsregeln gebrochen (Schuldenobergrenzen, Schuldenankaufsverbot und Beistandsverbot). Hier gelten keine rechtsstaatlichen Regeln, sondern es herrscht Faustrecht."
www.sueddeutsche.de/geld/streit-um-die- ... -1.1151907)
3P Anti-trafficking Policy Index:
www.seo-young-cho.net/seo-young-cho-2.html
Working paper: The Spread of Anti-trafficking Policies – Evidence from a New Index:
www.uni-goettingen.de/de/document/downl ... 19_Cho.pdf
- Die fragwürdige Studie:
Does Legalization of Prostitution Increase Human Trafficking?
Seo-Young Cho, Axel Dreher, Eric Neumayer
Discussion Papers No. 96
September 2011, Uni Göttingen, Department of Economics
(gespeichert auf einem Server im Ausland:)
http://www2.lse.ac.uk/geographyAndEnvir ... tution.pdf
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