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Marc of Frankfurt
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systematisches Ausstiegs-Wissen

#161

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Theorie des schwierigen Ausstiegs aus der Sexarbeit am Beispiel Straßenprostitution:

  • Exiting Prostitution:

    An Integrated Model



    Ausstieg für Frauen aus der Straßenprostitution

    Lynda M. Baker
    Rochelle L. Dalla,
    and Celia Williamson
    (versch. Universitäten in den USA,
    wo Sexwork vollständig kriminalisiert ist)

    2010
    in: Violence Against Women 16(5) 579–600

    Download siehe unten: Attachment

Die Straßensexarbeit zu verlassen ist meist ein langdauernder, sehr intensiver, psychologisch-organisatorischer Prozess.


4 Ausstiegsmodelle aus der Literatur:

1. Generelle Modelle

1.1 Stufen und Phasen des Wandels (Prochasa 1992)


Stages and Process of Change: A Transtheoretical Model

5 Stufen des Wandels
- precontemplation
- contemplation
- preparation
- action
- maintenance

10 Phasen des Wandels
- helping relationship
- consciousness raising
- self-reevaluation
- self-liberation
- counter-conditioning
- stimulus contro
- reinforcement management
- dramatic relief
- environmental reevaluation
- social liberation

Modell entstand im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit, wo der Ausstieg als rein individueller Prozess kognitiver Neuorientierung und Verhaltensänderung verstanden wird. Das Modell versagt bei Prostituion, wo viele Faktoren zusammen wirken: Drogen, Isolation, Scham, Stigma... Deswegen sind Hilfen für Sexworker besonders notwendig.


1.2 Role Exit Model (Fuchs Ebaugh 1988)

4 Stages
- first doubts (internal: tired, shame, unfree or external: police, partner)
- seeking alternatives
- turning point (rehab or exit program) has 3 functions
· allow exiters to announce their decision to others
· help them mobilize both emotional and social resources to complete the exiting process.
· reduce their cognitive dissonance
- creating an ex-role (their former “role identification has to be taken into account and incorporated into a future identity (role residual or hangover identity)”)

Die soziale Isolation von Sexworkern, die fehlenden formellen und informellen Hilfesysteme werden im Modell nicht berücksichtigt.

Keines der Modelle berücksicht dass bei Sexworkern häufige "entry-exit-re-entry" Verhalten (yo-yo-Verhalten).

Die Motive zur Sexarbeit (Geld, Freiheit, Tabubruch...) als auch krisenauslösenden Probleme sind extrem unterschiedlich (Razzien, Überfall, Ekelgefühl, Verdienst-Degression, Partner...).





2. Sexwork spezifische Ausstiegs-Modelle

2.1 Überwindung des Matthäus Effekts (Manson u Hedin 1999)


Mattheus Effekt der selbstverstärkenden Akkumulation. Benannt nach der Bibel: "Wer hat dem wird gegeben...der Arme wird noch ärmer".

Der Effekt wurde bei 'normalen' Berufskarrieren bestätigt:
Matthew effect on career study highlights the importance of early career development, showing that many careers are stunted by the relative disadvantage associated with inexperience.
www.pnas.org/content/108/1/18.short (Vgl. das kapitalistische Prinzip des Monopoly Spiels (Marktbereinigung) und Manager-Weisheiten wie "The winner takes it all")

5 Phasen
- drifting in (Einstieg, Hineinrutschen)
- ensnarement (Verführt- und Verfangenheit)
- prebreakaway (vorläufiger Ausstieg)
- breakaway (Ausstieg)
- after the breakaway (Ausstieg sichern)

Übergang zum Ausstieg (breakaway) verläuft entweder plötzlich oder langsam:

Wendepunkte, die wie ein Blitz einschlagen, sind:
- eye-opening events wie unerwartete Kundenwünsche,
- traumatische Erlebnisse wie Gewalterfahrung, Razzia
- positive Lebensveränderungen wie neue Liebe (weggeheiratet werden, Pretty Women Syndrom) oder Jobangebot
- Grenze der Erduldbaren ist erreicht (das Maß des Leidens ist voll)

Graduelle Umstellung erfolgt durch:
- Sexservice reduzieren
- Präsenz und Sichtbarkeit/Erreichbarkeit einschränken
- kein Neukundengeschäft sondern nur noch gute Stammkunden

Ausstieg kann also entweder schnell sein und ganz ohne Vorbereitungsphase ablaufen, z.B. für die wenig fest eingebundenen Sexworker oder nach einem besonder negativem oder positivem Schlüsselerlebnis oder aber extrem langwierig sein, für die tiefer Involvierten die evt. eine sehr positive Sexwork-Identifikation und Gegnerschaft zur prostitutionsfeindlichen "Normalwelt" entwickelt haben.

Hilfsfaktoren
- strukturelle (gesellschaftliche Faktoren)
· Sucht (Drogen-Entzugsprogramme)
· Arbeit (Vermittlungsangebote)
· bezahlbare Wohnung
· Ausbildung (Qualifizierungsmaßnahmen)
· Sozialversicherung
· Steuern [das Thema fehlt in dem Paper]
- relationale (Beziehungen)
· pers. soziale Netzwerke
· informelle Hilfen vom Partner oder Kindern
- individuelle
· Die Fähigkeit zu Träumen, sich in anderer Leben-&Berufs-Lage vorstellen und Zukunfspläne machen zu können liegt ganz am Anfang und ist ganz zentral
· Belastbarkeit, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität
· Kenntnisse und Fähigkeiten
· Interessen und Motivation (Selbstmotivationsfähigkeit)

Die Verquikung von Problemen auf der strukturellen, relationalen und individuellen Ebene macht den Ausstieg sehr schwer.

Die meisten Sexworker benötigten mehr Hilfen, als ihre eigenen Ressourcen oder Netzwerke geben konnten.

Hauptsächliche Widerstände und Schwierigkeiten:
- Erlebte Vergangenheit aufzuarbeiten und den Lebenssinn der eigenen Prostitutionserfahrung finden
- Scham
- Isolation, Marginalisierung
- Umgang mit Intimität und engen Beziehungen


2.2 Transition becoming an Ex-Sex Worker (Sanders 2007)

Bild
Original s.o. im Posting #30


zu Gradual Planning
· Was für manche outdoor sexworker Drogenentzugsprogramme sind, sind für
· in-door sexworker und Escorts genaue Finanz- und Versicherungschecks für den "Ruhestand", um mit dem großen Verdienstrückgang fertig werden zu können.

Gute Planungshilfen für Sexworker werden benötigt:
- Checklisten
- Hilfen für die Interessen-/Fähigkeiten-Bestimmung, Visionsentwicklung und Berufswahl
- Merkblätter zu Steuern, Finanzen und Versicherungen, Arbeitsamt und Umschulungen...
- Aufwand/Energie-, Zeit- und Kostenkalkulationen
- Adresslisten, Weblinks von Anlaufstellen und Hilfsangeboten
- Erfolgsgeschichten und Fallbeispiele (Rezepte)
- ständiger Informationsfluß und Anbindung aller interessierten und dem Thema aufgeschlossenen Sexworker (Inklusion) z.B. durch regelmäßige Rundbriefe, podcasts, eMail-Beratung, Mailingliste, social community website, Hotline, Selbsthilfegruppe


Faktoren der Prostitutionsfalle sind:
- Geldbedarf für Drogen
- Geldbedarf für Strafzahlungen
- geringere Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Sexarbeit





Hindernisse beim Ausstieg aus der Sexarbeit

- Individuelle Faktoren
· selbstzerstörerisches Verhalten
· Drogenmißbrauch
· Psychische Probleme, SWBO
· Folgen von Traumatisierungen in der Kindheit
· Traumata von Gewalterfahrungen als Frau privat, als Sexworker im Beruf
· Klinisch psychologischer Stress vgl. SWBO
· Geringer Selbstwert, Scham, Schuld
· Körperliche Gesundheitsprobleme (Krankheit, Unfall, Gewalt)
· Kein Wissen um Hilfsangebote (Sprachprobem, fehlende Netzwerke, Werbung, PR, Outreach, Streetwork)

- Reationale Faktoren (Beziehungen)
· kaum konventionelle und informelle Unterstützungsangebote
· zerrüttete, dysfunktionale Familienbeziehungen
· Zuhälter
· Drogendealer
· soziale Isolation

- strukturelle Faktoren
· Arbeitslosigkeit (Massenarbeitslosigkeit, Benachteiligung von Frauen und Älteren)
· fehlende Ausbildungen/Zeugnisse der Sexarbeiterin
· fehende Ausbildungsangebote/Weiterqualifizierungsangebote (Praktika)
· bezahlbarer Wohnraum (Wohnungslosigkeit, Armut)
· Vorbestraft durch angehäufte und unbezahlte Ordnungsstrafen
· fehlende unpassende Hilfsangebote

- gesellschaftliche Faktoren
· Diskriminierung, Stigmatisierung [und Tabuisierung, Marginalisierung, Alienisierung, Exkludierung, Kriminalisierung]


Was gebraucht wird sind nicht nur die Auflistung von Problemen, sondern ganz wichtig Problemlösungsbeispiele und -vorschläge

... diese gilt es noch zu erarbeiten ...

Auf dem Weg dahin ist es evt. auch zweckmäßig eine Typologie von Sexworkern oder Sexworker-Problemlagen zu entwickeln. Was sind die häufigsten Probleme, welche Problem-Konstellationen treten häufiger auf (Faktoranalyse)...





Integriertes Ausstiegsmodell (Lynda M. Baker e.a. 2010)

Besteht aus 6 Phasen.
Ist also die Überarbeitung und Integration der obigen 4 Modelle:

Bild

Sechs Phasen:
1. Immersion (= Verhaftung in der Sexarbeit)

2. Awareness. In der Bewußtwerdungsphase gibt es zwei Stufen:
- Visceral awareness (Bauchgefühl, Unwohlsein, unbewußte Signale für Helfer)
- Conscious awareness (Bewußtwerdung und Verbalisierbarkeit)

3. Deliberate Planing (Planungsphase)
- Durchdenken der eigenen Problemlage
- Informationen sammeln aber noch keine Verhaltensänderung
- Sichten von formellen Hilfsangeboten und informellen Hilfen. Erste Kontakte.
Phase entweder aus eigenem Antrieb oder auch durch andere eingeleitet (Familie, Jugendamt, Verurteilung)

4. Initial Exit (Ausstiegsversuch)
- Formeller Ausstieg (z.B. Ausstiegsbetreuungs-Projekt, Entzug) oder informeller Ausstieg (z.B. Umzug, Zusammenziehen mit Familie)
Erfolg hängt davon ab ob
· Hilfs-Programme in der Stadt vorhanden sind,
· die Sexarbeiterin einen Sponsor oder ausreichend Rücklagen hat (vgl. in D ALG2-Berechtigung)
· es gelingt Information, Tipps und Wissen umsetzen zu können in Verhaltensänderung (Können).

5. Reentry (Wiedereinstieg, yo-yoing, reactioary reimmersion)
- Alles kann sich wie gehabt wiederholen oder
- beim nächsten Durchlauf wird die Schleife wesentlich einfacher/erfolgreich durchlaufen oder
- die Erfahrung des Scheiterns erzeugt eine zusätzliche Blockade und der Sexworker wird für Hilfe unerreichbar (Stempel Untherapierbarkeit).

6. Final Exit (Nachhaltiger Ausstieg)
Die meisten Sexworker brauchen mehrere Anläufe und lange Zeit.
Genaue Zahlen fehlen, zumal auch kein genaues Kriterium angegeben werden kann (6 Monate erfolgreicher Ausstieg/Abstinenz ist als Kriterium ungeeignet bei Sexwork).
- Herausbildung einer neuen "Ex-Sexworker-Identität"
- Integration von 'hang overs' aus der Sexarbeit ins neue Leben.
Typische Probleme sind
· Kontaktscheu, zerrüttetes Männerbild
· Veränderte Sexualität im Erleben und Wünschen
· alte Freunde bzw. deren Fehlen
· Tagesstruktur umkrempeln müssen
- Wesentliche Veränderungen im Leben, sparsamerer Life-Style, ganz neue Gewohnheiten
- Neue Versorgungsbeziehungen aufbauen (Job)
- Reentry bleibt eine ständige Möglichkeit

(Das Modell bezieht sich auf Frauen in der Straßenprostitution und nicht auf andere Arbeitsformen, Callboys oder Transsexuelle.)

Weil das Modell zwar auf vielen Fakten und Erkenntnissen aber nicht auf einer Theorie aufbaut, darf es nicht verallgemeinert werden. Das Modell soll der Theoriebildung dienen. Bisher ist es nur eine Analogie oder Veranschaulichung der empirischen Befunde oder von etwas, was nicht direkt beobachtbar ist.

Insofern kann das Modell der Forschung helfen z.B. herauszubekommen ab welchem unbewußten Unwohlsein ein Umschlagen zur Bewußtheit stattfindet. Es können Diagnose-Tools für die verschiedenen Phasen entwickelt werden.

Das Modell soll auch der Ausbildung der Leute in der Helferindustrie dienen. Es soll darüberhinaus Vorurteile abbauen und zeigen, dass Sexworker wegen der Marginalisierung kaum für sich selbst eintreten können und viele Hilfsangebote daher nicht ihre Bedürfnisse treffen.

Aber es ist auch Selbstdiagnosemodell. Wie oben schon gefordert, brauchen wir Sexworker gute Rezeptbücher und Ratgeber, so wie sie auch in anderen Lebensbereichen (von Kochen bis Gesundheit) den Menschen Hilfestellung geben.

Ausstiegs-Methoden sollten gelehrt werden (Sexworker Academy)
- Dann können Sexworker besser sehen welche Hilfen gut für sie sind
- Feststellen in welcher Lebens-/Berufs-/Exit-Phase sie stehen
- Sich besser vorbereiten
- Fehlverhalten bei Einstieg und während der Sexarbeit vermeiden
· ungenügend Rücklagen bilden (Finanzwissen nachholen)
· Fortbildungen, Kurse mit Zeugnissen vergessen zwischendurch zu machen (Karriereplanung)
· Lücken im Lebenslauf entstehen lassen
· Nur einseitig sich auf Sexarbeit ausrichten und verlassen (Abhängigkeit und Falle für Vollzeit-Sexworker) ohne einen bürgerlichen Nebenjob aufgebaut oder behalten zu haben
· Zu viele/alle Kontakte abgebrochen
· Unzureichend geplantes und gegen zu wenige Eventualitäten abgesichertes Doppelleben (Stigma-Management)
· zu leichgläubig, uninformiert, risikobereit, trotzig, selbstzerstörerisch
· rechtzeitigen Ausstiegszeitpunkt als es einem gut ging nicht bemerkt/verpasst (Falle Prostitution)

- Verstehen dass Wiedereinstieg kein Versagen bedeutet
- Spüren dass Sexworker mit Ausstiegsproblemen nicht alleine sind
- Verstehen dass Verhaltenswandel und Erfolg zu schaffen sind.

Meiner Meinung nach gehört Ausstiegsberatung bereits als Teil in eine gute Einstiegsberatung.
Sexworker und Ex-Sexworker sind an der Entwicklung und Evaluierung von Projekten und Materialien zu beteiligen "Nothing about us, without us!".

Viele Gefahren bemerken Sexworker leider zu spät (Die Rechnung wird erst am Ende präsentiert). Sexworker die Ausgestiegen sind bleiben meist unsichtbar (denn für Ex-Sexworker bleibt das Sexwork-Stigma lebenslang weiterbestehen) und es gibt daher keine positive Feedbackschleife so wie wir es hier zwischen erfahrenen Sexworkern und Einsteigern im Sexwoker Forum organisieren. Daher evt. auch die Reaktion der Gesellschaft, die einfach pauschal verbietet (stigmatisiert und kriminalisiert), weil sie selbst keine nachhaltigen Lösungen in Lebenslaufbetrachtung für möglich hält (Bild von der 'gefallenen' Frau, Tabu Prostitution). Dabei kann Ausbildung so viel verändern. Sammelthema Whore Academy:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=817



__
p.s. leider benutzten die Autorinnen unhinterfragt die putophobe Terminologie 'prostituted women'.
Dateianhänge
Exiting prostitution, An integrated model, Baker 2010.pdf
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Re: systematisches Ausstiegs-Wissen

#162

Beitrag von Aoife »

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:p.s. leider benutzten die Autoren unhinterfragt die putophobe Terminologie 'prostituted women'.
Ja, meiner Meinung nach überhaupt ein äußerst schlechtes Modell, bei dem diese Wortwahl symptomatisch ist.

Theoretisch ist ein rein behavioristisches Menschenbild zugrundegelegt, das die IMHO viel wichtigere Psychodynamik vollständig ausblendet.

Mit anderen Worten: Der Ausstieg wird hier so geplant, als sei der Mensch beliebig zu ändern. Und wenn er das nicht freiwillig tut, muss eben ausreichend Druck aufgebaut werden ...

Diese quasireligiöse Überzeugung dass alles machbar wäre und sich deshalb selbstverständlich nach den eigenen Moralvorstellungen zu richten hätte ist ja typisch für die Evangelikalen, an denen im Herkunftsland dieser "Ausstiegs"theorie keiner vorbeikommt. Und die auch in Europa (Eintrittspforte Schweden) alles dafür tun harm reduction abzuschaffen.
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Faktoren der Prostitutionsfalle sind:
- ...
- geringere Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Sexarbeit

Hindernisse beim Ausstieg aus der Sexarbeit

- Individuelle Faktoren
· selbstzerstörerisches Verhalten
· Drogenmißbrauch
· Psychische Probleme, SWBO
· Folgen von Traumatisierungen in der Kindheit
· Traumata von Gewalterfahrungen als Frau privat, als Sexworker im Beruf
· Klinisch psychologischer Stress vgl. SWBO
· Geringer Selbstwert, Scham, Schuld
· Körperliche Gesundheitsprobleme (Krankheit, Unfall, Gewalt)
· Kein Wissen um Hilfsangebote (Sprachprobem, fehlende Netzwerke, Werbung, PR, Outreach, Streetwork)
Ich bin überzeugt, dass dieses im Zusammenhang gelesen werden muß:

Solange die Gesellschaft nicht bereit ist anerkannte Existenzmöglichkeiten für Menschen mit solchen Problemen zu akzeptieren, werden diese in vielen Fällen außerhalb der Sexarbeit nicht geringere, sondern gar keine Verdienstmöglichkeiten haben.

Beispiel Drogengebrauch (auch die Wortwahl Mißbrauch im Text ist ebenso moralisierend wie die von dir, Marc, zurecht kritisierte putophobe Wortwahl):

Noch vor 100 Jahren konnte ein Sigmund Freud trotz kombinierter Kokain- und Morphinsucht einer damit vereinbaren Tätigkeit nachgehen und gesellschaftliche Anerkennung genießen. Um diese Freiheit sind wir als Gesellschaft inzwischen gebracht worden durch am Drogenhandel verdienende, öffentlich sich jedoch höchst "christlich" gebende Abgeordnete.

Auch die Erwähnung von "geringer Selbstwert" impliziert eine Schuldzuweisung an das Opfer, so als wäre das ein inneres und durch eigene Anstrengung behebbares Problem. Tatsächlich wird durch diese Formulierung aber verborgen, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt, das von calvinistischen Religiösen erst geschaffen wurde. Es ist kein "Selbst"wertproblem, wenn ich von der Gesellschaft als wertlos eingestuft werde, weil ich nicht roboterhaft funktioniere.
Marc of Frankfurt hat geschrieben:Was gebraucht wird sind nicht nur die Auflistung von Problemen, sondern ganz wichtig Problemlösungsbeispiele und -vorschläge

... diese gilt es noch zu erarbeiten ...

Auf dem Weg dahin ist es evt. auch zweckmäßig eine Typologie von Sexworkern oder Sexworker-Problemlagen zu entwickeln. Was sind die häufigsten Probleme, welche Problem-Konstellationen treten häufiger auf (Faktoranalyse)...
Ja, Marc, das sehe ich absolut auch so.

Ob das aber hier in einem Forum möglich und vor allem ethisch vertretbar ist wage ich massiv zu bezweifeln.

Wenn wir über uns selbst solche Forschungen anstellen, dann werden wir auch mit unseren Abgründen konfrontiert. Und ich möchte niemanden anregen, das alleine vor seinem Rechner sitzend zu tun - zu leicht entstehen dabei Situationen, in denen man jemanden persönlich anwesend braucht, der einen auffangen kann.

Wie gesagt, solche Forschung wäre ganz wichtig. Aber zuerst müssten wir einen Rahmen finden, in dem sie sicher durchgeführt werden kann.

Liebe Grüße, Aoife
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Ausstieg bei anderen Berufen

#163

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ausstiegsproblematik bei anderen Berufen:

Spitzensport: nach der Karriere freier Fall in die Armut



Bild
Ausstiegsmodell "sich wegheiraten lassen":
Fürst Albert von Monaco und Charlene Wittstock
heute vor dem Traualtar.

Die Leistungsschwimmerin Charlene Wittstock hat ihre "zweite Karriere" geschafft - als Neuvermählte des monegassischen Fürsten Albert. (Vorsicht vor dem: Pretty Women Syndrom)


Doch die meisten anderen Elitesportler stehen, wenn ihr Leistungszenith überschritten ist, vor psychischen Verletzungen und großen Problemen.

Mehr als 50.000 ehemalige Olympioniken weltweit leben unter der Armutsgrenze, werden Nationalmannschaftsmitglieder mitgezählt, ist es ein Vielfaches - ganz zu schweigen von den Lebensentwürfen der vielen ehemaligen Elfen und „Wunderkinder“.


Für die Soziologin Prof. Dr. Pia-Maria Wippert (Potsdam) ist es unverständlich, dass ausscheidende Spitzenathleten am Ende ihrer sportlichen Höchstleistungen meist fallengelassen werden - ohne Unterstützung für eine gute Neuorientierung.

In einer umfangreichen Studie mit Sportlern, Musikern und Tänzern belegt Wippert die extrem hohen menschlichen "Kosten" einer Spitzenleistung: "Die Betroffenen werden bereits im Kindesalter aus traditionalen Bindungen, Versorgungsbezügen und Sozialformen herausgelöst, an deren Stelle sportive oder künstlerische Instanzen und Institutionen treten.

[ Umformuliert für Sexwork: Extrem hohe menschlichen "Kosten" für eine Spezialisierung zur hauptberuflichen Arbeit in der Prostitution. Die betroffenen Sexworker werden teilweise bereits relativ jung und ohne abgeschlossene anerkannte Ausbildung aus traditionalen Bindungen, Versorgungsbezügen und Sozialformen herausgelöst, an deren Stelle das Prostitutionsmilieu tritt. ]

Die Entscheidung für eine Leistungskarriere bedeutet eine Akzeptanz und Einordnung in die Zwänge solcher Institutionen und in deren Kontrollen.
[ Das was bei Prostitution als Zuhälterei und Menschenhandel kriminalisiert ist und unterbunden werden soll. ]
Daraus erklärt sich eine starke Außensteuerung und -standardisierung des Lebenslaufs und eine jahrelange Abhängigkeit in allen Dimensionen der Lebensführung.

Das Ende oder der Abbruch der Karriere bedeutet nun die Freisetzung aus dieser Institutionsabhängigkeit und aus dem bisherigen eigenen Biographieentwurf." Meist benötigen Betroffene mehrere Jahre, um die Problematik des Karrierestopps und Ausstiegs aus der Leistungssportlerlaufbahn zu verarbeiten, häufig gelingt es lebenslang nicht.

Pia-Maria Wippert untersuchte, wie in Hochleistungsbiographien nach einem Karrierestopp ein Identitätsumbau und eine Neufindung gelingen können. Dazu hat die Wissenschaftlerin - ehemals selbst Spitzensportlerin - ein Interventions- und Mentorenprogramm entwickelt, das allen Betroffenen angeboten werden sollte.

Verbände, die ihre "Athleten auf das leistungssportliche Geschehen vereinnahmen, müssten die Dominanz ihrer Eigenlogik durch ein Gegenprinzip unterlaufen; die institutionalisierte Planung der Nachkarriere bzw. des Übergangs wäre z.B. ein solches Gegenprinzip."

Im Sport besteht also dringender Handlungsbedarf - gleichzeitig liegen darin auch große Chancen für die Verbände: Wenn die ehemaligen Spitzensportler im Konsens mit ihren Vereinen ihre persönliche Wende geschafft haben, arbeiten sie oft gern ehrenamtlich in der Nachwuchsförderung mit ...





Fachbuch 1:
Pia-Maria Wippert: Kritische Lebensereignisse in Hochleistungsbiographien. Untersuchungen an Spitzensportlern, Tänzern und Musikern.
Pabst Lengerich/Berlin, 314 Seiten, ISBN 978-3-89967-493-4

Biographiebrüche: weil von ihrem Direktorium/Verband unerwartet entlassen und dadurch mit einem jähen fremdbestimmten Karriereende konfrontiert. Mit diesem als Life-Event definierten Karrierestop gehen Prozesse des Identitätsumbaus und der Neufindung eines Lebens einher.

Warum gelingt einer Person ein guter Biographieanschluss und einer anderen nicht? Mögliche Ursachen:
- Netzwerk-Einbindung
- Persönlichkeitsstrukturen
- Gesundheitssituation
- Art der Verarbeitung
Sie prägen den späteren Verlauf.

Interventionsprogramm zeigt erste Erfolge.

Können und will sich die Gemeinschaft systematische posttraumatische Belastungsreaktionen bei den eigenen "früheren Eliten" leisten oder möchte das System sich nicht mehr um die kümmern, die niemandem mehr nutzen?
[ Kapitalistische Verwertungslogik. ]





Fachbuch 2:
Thomas Wörz, Josef Lecheler (Hrsg.): Die Psyche des Leistungssportlers. Die komplexe Herausforderung, ein Talent zu begleiten.
Pabst Lengerich/Berlin, 92 Seiten, ISBN 978-3-89967-678-5

Selbst-Wert-Management als Chance der Persönlichkeitsentwicklung.

Karriere danach – Optimierungsmöglichkeiten – Erfahrungsbericht.

www.psychologie-aktuell.com/news/aktuel ... armut.html





Sportler können mehr oder weniger problemlos wechseln zu:
- Nachwuchsförderung
- Trainer
- Sportmoderator
- Sportfunktionär
- Sportfachhandel
- Eventmanager
- ...

Vergleichbare Funktionen sind Ex-Sexworkern verwehrt, weil stigmatisiert und tabu.

Interventionsprogramm für Ex-Sexworker
DIWA Berlin:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=101074#101074





.

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#164

Beitrag von friederike »

Lieber Marc,

danke für diesen interessanten Beitrag. Er zeigt erneut, dass Problemfelder als Argument gegen die Sexarbeit gewendet werden, die in Wirklichkeit andere, nicht-stigmatisierte Tätigkeiten genauso oder vielleicht mehr betreffen, so wie hier das Problemfeld der Altersabhängigkeit.

Die Forderung kommt der zitierten Hochschullehrerin fliessend von den Lippen, dass Sportlern beim altersbedingten Ausstieg geholfen werden sollte - für Sexarbeiterinnen scheint sie den Bedarf nicht zu sehen.

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Marc of Frankfurt
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Heldenreise als Ausstiegskonzept

#165

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Der Hochschullehrerin will ich es nicht vorwerfen nur in ihrem Bereich zu denken. Du hast recht, der 'Sündenbockmechanismus Prostitution' wird durch die Gegenüberstellung sehr deutlich.

Wir können ihre Erkenntnisse für uns und zukünftige Ausstiegs-Beratungen gewinnbringend nutzen. Leider geht der Artikel zu wenig in die Details der Lösungsstrategie...

Hier ein mythologisch-tiefenpsychologischer Ansatz, der m.E. bei den professionalisierten Ausstiegshilfsprojekten als Berufsfeld der Helferindustrie viel zu kurz kommt, weil er zu komplex und intim ist:


Ein Modell für Wandel und Transformation:

Ein Klassiker der Mythologie und das Konzept der Heldenreise



Bild
Einheitsmythos - Monomyth - Heldenreise - Lebensweg



Der Heros in tausend Gestalten / The Hero with a Thousand Faces (1949)

A seminal work of comparative mythologist Prof. Joseph Campbell (1904-1987). In this text Campbell discusses his theory of the journey of the archetypal hero found in world mythologies and religions.

Die Stufen der Heldenreise:
http://de.wikipedia.org/wiki/Heldenreise
http://en.wikipedia.org/wiki/Monomyth
http://www2.hvrsd.org/staff/apaull/Pict ... P__006.jpg
http://wiki.phalkefactory.net/index.php ... 9s_Journey




___
Campbell zeigt ferner, dass die zweite Funktion der Mythologie, das soziale Funktionieren durch Abkapselung zu regeln, zum ersten Mal in Babylonien zu Zeiten des Sargon von Akkad (2356-2300 v.Chr.) zur dominanten Funktion wurde.

Der Mythos des Sargon erzählt davon, dass Sargon seinen Anspruch auf das Königsamt durch die Liebe der Göttin Ischtar legitimierte. Mythologie wird hier primär als Rechtfertigung eines Herrschaftsanspruchs eingesetzt. Dasselbe Muster findet sich später bei Moses und ähnlich in allen großen monotheistischen Religionen. Mit der Legitimationsfunktion des Mythos für politische Herrschaft aber wird der universelle Gedanke, den Menschen selbst - qua Menschsein - als ein göttliches Wesen zu verstehen, zu einem Störfaktor und immer weiter verdrängt. Religionskriege und Götter mit dem Anspruch von Allmacht waren die Folge, das eine wie das andere ist Gift für den langsamen Prozess der Reife eines Menschen von einem abhängigen Geschöpf zu einem selbstverantwortlichen Schöpfer seines Lebens.
http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Campbell#Werk
Sexwork und die Bibel:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=3698&start=62
Budhistische Lehre:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=68807#68807
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 18.07.2011, 07:55, insgesamt 3-mal geändert.

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#166

Beitrag von friederike »

Ein faszinierender Denkanstoss!

Man muss seine Zeit in der aktiven Prostitution als eine Lern- und Bildungsphase sehen, in der man Erfahrung gewinnt.

So wird es wohl auch ein kluger Sportler machen.

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Marc of Frankfurt
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#167

Beitrag von Marc of Frankfurt »

July 16, 2011 10:07 PM EDT

TV-Show organisiert Heiratsmarkt für Sexworker


Television reality shows have sunk to a new low.

A program in the southern African nation of Zambia allows prostitutes to find husbands through TV.



Muvi TV, which sponsors the “Ready for Marriage” show, features 18 sex workers who are competing for a $9,000 cash prize and a chance to have their wedding paid for.

"We want to make a difference to women's lives. These are people, after all," a spokesperson for the TV channel, Coreena Paulina, told BBC.

The contestants were found across the country – most of them are single women with children desperate for money.
"I needed to sustain my living and that of my [two] children," one of the prostitutes, Precious Kawainga, 28, told BBC.
Another contestant explained: "I found prostitution because of rejection. The father to my children turned his back on me.”

According to Muvi TV, contestants who fail to win the top prize (by being voted out by viewers) will receive consolation prizes valued at between $1,000 and $1,500. In addition, they will receive full-time jobs.

Amazingly, the show has stirred no protests. In fact, at least one clergyman extended his support to its aims.

Reverend Jeff Musonda told BBC: "If those people have transformed and stopped their acts, I find no problem. But if it's just for wooing viewership, I would have reservations.”


www.ibtimes.com/articles/181607/2011071 ... itutes.htm


Ein mediales "Unter-die-Haube-bringen" als Austiegsprojekt? Vojeuristische Ausstiegshilfe die sogar den Segen eines Priesters bekommt.

Bild

Prostitution und Ehe sind Konnexinstitute (sie schließen sich gegenseitig aus wie sie sich ergänzen). Und somit ist der Heiratsmarkt das Komplement zum Sexdienstleistungsmarkt.

Ein bürgerlicher Heirats-Markt wird hier inszeniert vom noch bedeutsameren und meist hochprofitabel-kartellkontrollierten Medienbusiness-Markt der Einschaltquoten und Werbefinanzierung. Er schnappt sich die Problemfälle des Sexdienstleistungsmarkt und führt sie einer Zweitverwertung zu...

Der Kapitalismus scheint für alles eine Lösung zu haben.

ehemaliger_User
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Sozialhilfebetrug

#168

Beitrag von ehemaliger_User »

So sollte es nicht gemacht werden:
Wegen TV-Deal
Hartz-IV-Abzocke: Bewährung für Trixie

Ex-Hure Trixie gestand, Hartz IV kassiert und gleichzeitig beim Fernsehen verdient zu haben. Bewährung.

Amtsgericht Tiergarten. Aufruf der Strafsache Beatrice Hübschmann (AZ: 334Ds18/11). Der Dame auf der Anklagebank fehlt jeder Hauch von Verruchtheit: blondbraver Dutt, puderrosa Strickjäckchen, die Hände züchtig auf dem Knie.

Es gab eine Zeit, da nannte sich die Lady in Rosa "Trixie" und schaffte als Edel-Hure an: schwarzes Leder, tiefstes Rotlicht, bis zu 1000 Euro die Nacht. Knapp 15 Jahre und über 3000 Freier später stieg die Juristentochter aus: Lieber arm als sexy. Fortan bezog die geläuterte Prostituierte fürs Nichtstun Hartz IV und kümmerte sich um ihre drei Kinder.

Bloß leider blieb es dabei nicht: Die frischgebackene Hausfrau wurde vom Fernsehen entdeckt: Für 40.000 Euro "Aufwandsentschädigung" spielte sie mehr als anderthalb Jahre in der Reality-Doku "We are Family – So lebt Deutschland" (Pro7) mit. Den warmen Geldregen kassierte sie in bar oder ließ ihn, um Spuren zu verwischen, aufs Konto ihres Vaters überweisen. Dem Jobcenter verschwieg sie die Fernseh-Einkünfte.

So startete sie ihre vierte Karriere – als gewerbsmäßige Betrügerin. Laut Anklage kam es zu einer "Gesamtüberzahlung von 13.477,64 Euro."

Richter: "Was sagen Sie dazu?" Verteidiger: "Meine Mandantin räumt die Anklage in vollem Umfang ein. Es tut ihr leid. Ihr früheres Leben verbrachte sie im Rotlichtmilieu. Seit 2009 ist sie bemüht, einen Schlussstrich zu ziehen und Ordnung zu machen, wo sie Mist gebaut hat. Sie zahlte bislang schon 5000 Euro in kleinen Raten zurück." Richter: "Stimmt das so?" Beatrice (haucht leise mit Piepsstimme): "Ja." Staatsanwältin: "Ich kann mich kurzfassen. Sie hat bewusst getäuscht, erheblichen Schaden verursacht und ist des gewerbsmäßigen Betruges schuldig. Ich beantrage 14 Monate Haft, das kann aber zur Bewährung ausgesetzt werden."

Verteidiger: "Die Strafe sieht sie als Lehre aus ihrem bisherigen Leben und als Chance, sich zu ändern." Beatrice (hat das letzte Wort): "Ich danke Ihnen, dass Sie wohlwollend prüfen, dass ich bereut habe und das zu Unrecht erhaltene Geld zurückzahle. Diese Einsicht kam mir aber schon vor Anklageerhebung." Der Richter braucht gerade mal drei Minuten, dann verkündet er das Urteil: 14 Monate Haft.

"Aber Sie müssen erst mal nicht ins Kittchen, Sie dürfen sich bewähren", fügt er hinzu. "Sie haben Ihr Leben ganz gewaltig geändert und damit Pluspunkte gesammelt. In den nächsten zwei Jahren dürfen Sie nichts mehr anstellen, sonst kommen Sie doch noch in Gefängnis!"

14. Juli 2011 14.43 Uhr, B.Z.
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Re: Sozialhilfebetrug

#169

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Was für ein Glück dass der Zahlungsverkehr von Paysexkunden üblicherweise nicht über ein Konto der Eltern abgewickelt wird. Hatte die Staatsanwaltschaft evt. auch noch aufrollen wollen.

Zur Sendung und Buch von Trixi:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=37885#37885 ff.





Prozesse wg. Hartz IV-/Sozialhilfebetrug von Sexarbeiter_innen und Betreiber_innen siehe auch eine Seite vorher.

Die Fakten zur verfehlten Hartz IV-Politik hier:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=101687#101687

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Jobs in SW-Kooperative für Ex-Sexworker

#170

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Erstmals Bilder vom Café Exit in Thailand:

"Can Do" Bar in Chiang Mai




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#171

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Zur ökonomischen Theorie von Zeit und Geld,

die hinter den Ausstiegs-Problemen der Sexworker steckt:


Bild
Selbstwert-Geldmünze (Tauschwirtschaft) und Schuldvertrags-Geldschein (Kreditwirtschaft)
Warengeld (li. Münze) - Informationsgeld (re. Schein)

www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=5319&start=46





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Fachvorträge mal wieder ohne Sexworker

#172

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Giesela Zohren hat mal wieder einen ziemlich unsäglichen, defizitären Vortrag über die Prostitution verfaßt.


„Der Einstieg in den Ausstieg – Motivationen, Hindernisse,
Chancen“

Vortrag von Frau Gisela Zohren, Pädagogische Mitarbeiterin
Dortmunder Mitternachtsmission e.V.



in: Dokumentation des Fachtages zur offiziellen Eröffnung des Modellprojektes P.I.N.K. beim ev. Diakonischen Werk Freiburg - Prostitution Integration Neustart Know-how, 2010, Seite 15-18.


"Anlass der Aufnahme der Prostitutionstätigkeit sind zumeist finanzielle und/oder emotionale Probleme, für die eine Lösungsmöglichkeit unter Zuhilfenahme des Prostitutionslohnes angestrebt wird."

Ich behaupte: Eine Tätigkeit i.S.v. Arbeit nimmt jemand auf, um einen finanziellen Verdienst zu erzielen. So arbeiten z.B. die Sozialarbeiter bei PINK um ca. 55.770 Euro/Jahr zu verdienen (Arbeitgeberbrutto der 66%-Stelle) und müssen nebenbeibemerkt auf einen Betriebsrat verzichten, weil sie beim kirchlichen Arbeitgeber sind (Tendenzbetrieb).

Insofern kann ihr Satz umformuliert werden: Anlaß der Aufnahme von Arbeit sind finanzielle Probleme, für die eine Lösungsmöglichkeit unter Zuhilfenahme des Lohnes angestrebt wird. Dann wird aber jedem klar, wie bedeutungsleer die Aussage ist. Und Prostitution soll wohl als etwas Deviantes herausgestellt werden, um das man sich kümmern muß.


Giesela Zohren definiert folglich Prostitution als reines Problemfeld aus finanziellen und/oder emotionalen Problemen. Damit wiederholt und beteiligt sie sich an der herrschenden Stigmatisierung an Prostitution und den Sexworkern. Hat Giesela Zohren von der Mitternachtsmission Dortmund der evangelischen Diakonie das nötig?

Ob das damit zusammenhängt, dass sie jetzt 10 Jahre in eine kirchlischen Organisation zur Hilfe von Prostitutionsopfern arbeitet?


"Immer mehr steigen ein, um den Lebensstandart ihrer Familien zu erhalten." Da könnte man auch sage immer mehr steigen ein ihre Kinder aufs Gymnasium zu schicken, damit sie den Lebensstandart halten können oder immer mehr nehmen Zeitarbeitsstellen oder geringfügig bezahlte Mehrfachbeschäftigungen an...

Giesela Zohren verschweigt und unterschlägt einfach heimlich die zahlreichen realexistierenden Vorteile der Prostitution:
- Keine Berufsausbildung bzw. Anerkennung ausländischer Zeugnisse erforderlich (Niederschwelligkeit)
- Bargeldverdienst sofort (Liquiditätssicherung)
- hoher Stundenverdienst (Effizienz)
- hohe Flexibilität (Freiheit der Zeiteinteilung)
- daher kompatibel für Alleinerziehende (Kinderfreundlichkeit)
- hoher Selbstbestimmungsgrad (abs. Freiheit je nach Ausgestaltungsmöglichkeiten)
- sinnvolle Tätigkeit die stark nachgefragt wird (Sinnstiftung)
- Möglichkeit die Welt kennen zu lernen (Reisetätigkeit, Welt-Bildung)
- Sexualität erforschen und ausleben (Selbstverwirklichung)
- Kontakt mit Menschen (sexuelle Sozialarbeit)
- Viele glückliche Kunden erleben (Seelsorge, Berufszufriedenheit)
- ...


"Bei den Migrantinnen ist der Einstieg für die Prostitution häufig Armut."

Das trifft m.E. nur auf einen bestimmten (und den kleineren) Teil zu. Vielfach sind die zum Wagnis eines Auslandsaufenthalt bereiten Frauen, Männer und Transsexuellen, vielfach besser gestellt und auch aus besseren, d.h. eben nicht den untersten sozialen Schichten.

Die interkontinental pendelnde Migration ist vielmehr dem Wohlstandsgradienten zwischen den unterschiedlichen Volkswirtschaften geschuldet und den sich daraus ableitenden hohen Profitmöglichkeiten (Arbitrage der komparative Kosten- und Verdienstunterschiede. Letztlich betreiben Migranten einen erzwungenen Ausgleich der negativen Globalisierungsfolgen auf ihre jeweiligen Heimatländer (z.B. per remittance). Die Globalisierung durch Industrieproduktion war entstanden im neoliberal erzwungenen Freihandel gemäß dem Gesetz steigender Skalenerträge bei Produkten mit niedrigen Grenzkosten d.h. rechtegeschützten Massenprodukte der Industriestaaten und global aufgestellten Konzerne [vgl. die Beiträge zur Theorie der Globalisierung von den Nobelpreisträgern David Ricardo 1817 und Paul Kruman 1979]).


"Viele von Ihnen wurden mit falschen Versprechungen gelockt und haben nicht den ersehnten Arbeitsplatz, sondern wurden in die Prostitution gezwungen."

Giesela Zohren übernimmt ohne jegliche kritische Kommentierung Formulierungen, die so wörtlich von den BKA-Ideologen oder fundamentalistischen Prostitutionsgegnern aus den U.S.A. abgeschrieben sein könnten.

Natürlich gibt es Informationsdefizite über die konkreten Arbeitsbedingungen im Zielland, so wie jede unternehmerische Entscheidung auf unvollständigem Wissen aufsetzt und natürlich gibt es das Risiko von Ausbeutung und Übervorteilung bis hin zu brutaler sexualisierten Gewalt (Definition Menschenhandel =: gewaltförmige Entartung im Migrationsprozess). Aber wie die zahlreichen Polizeikontrollen und wenigen rechtskräftigen Verurteilungen zeigen, liegt die Kriminalität im Prozentbereich bezogen auf das gesamte prostitutive Geschehen in Deutschland. Das setzt sie überhaupt nicht ins Verhältnis.


Giesela Zohren entblödet sich auch nicht dem zeitweise in den Medien wieder aufgepushten Loverboy-Thema einen ganzen Abschnitt zu widmen. Zumal bei dem heiklen Thema schon Buchautoren der Falschaussage überführt wurden (NL).


Eigentlich war ihr Vortrag dem Thema Ausstieg gewidmet, kommt darauf aber erst im letzten Drittel und enthält wenig Fachwissen für unsereins, d.h. die informationsbedürftigen Sexworker selbst.

"...weil die Frauen ... gezwungen sind, ... immer umfangreichere Dienstleistungen für geringeres Entgelt auszuführen."

Dass dies eine Selbstverständlichkeit und Binsenweißheit ist für Arbeitsmärkte mit dem für sie typischen Marktversagen, insbesondere, wenn sie wie der Sexdienstleistungsmarkt völlig ungeschützt sind, verschweigt sie. Dabei sollte man von einer Fachberaterin mit 10 jähriger Erfahrung in einer Einrichtung, die seit 1918 also seit 93 Jahren in der "Sex gegen Geld"-Ökonomie arbeitet verlangen können, dass die ökonomischen Grundtatsachen verstanden worden sind: Ehernes Lohngesetz von Ferdinand Lassalle (1825-1864): "Der Lohn schwankt bei vollkommener Konkurrenz unter den Bedingungen eines schrankenlosen Kapitalismus stets um das Existenzminimum".


Die manigfaltigen Sexworkerkompetenzen, die z.B. on the Job bei der Sexarbeit erworben werden könnne, beschreibt sie völlig unzureichend. Kein Wunder, wenn die Vermittlung so schwer fällt und oft nur in geringfügigen Beschäftigungen endet.

Folgende Sexworker-Kompetenzen z.B. werden gar nicht erwähnt:
- Stigmamanagement (überleben in einer stigmatisierten Subkultur)
- Selbstmanagement / Selbstmotivation
- Sicherheitsmanagement (Covern, Selbstverteidigung, Deeskalation, Security...)
- Inszenierungskunst (Showbiz)
- unternehmerische Fähigkeiten als Soloselbstständige (freies Unternehmertum)
- Interkulturelle Kompetenz (Expat/Migration)
- Menschenführung (den Kunden führen und verführen)
- Verkaufen/Marketing (Dienstleistungssektor)
- ...


Genaue Info die konkret weiterhilft gibt sie zuhörenden oder jetzt mitlesenden Sexworkern auch nicht:
"...Migrantinnen, wenn sie die erforderliche Anzahl von Jahren angemeldet in der Prostitution gearbeitet und Ansprüche auf eine Arbeitserlaubnis bzw. ALG II erworben haben...". Warum wird hier die Jahreszahl und konkrete Bedingung nicht genannt? Wofür gibt es Fußnoten?


Die Probleme warum Sexworker scheitern sind zwar richtig aber auch völlig unzureichend anal-ysiert. Da muß man sich nicht wundern, dass die Begleitung von Sexworkern immer noch so defizitär ist...

Das Fehlen bzw. die Tabuisierung bis Kriminalisierung von Prostitutions-Gewerkschaft, Sexworker-Berufsverband, Self-regulatory Board (SRB = Runde Tische mit SW-Entscheidungsrecht), Bordell-Arbeitsverträgen, SW-Kooperativen, Sexworker Akademie (Whore College), Sexbiz brancheneigenes Forschungsinstitut, Sexworkergenossenschafts Spar- und Darlehenskasse, vorgezeichnete Aufstiegs- und Ausstiegskarieren, Outplacement-Agentur, Café Exit, SW-Künstlersozialkasse, Sexworker Altenheim ... verschweigt Giesela Zohren einfach. Der Gedanke, dass Sexworker schlicht durch die (fehlenden oder diskriminierenden) Rahmenbedingungen überfordert sein könnten und schlicht irgendwann ausbrennen (SWBO) oder stolpern und daher versagen scheint ihr nie gekommen zu sein oder passt nicht ins einseitige Weltbild.

Verständlich, dass dann emotionale Probleme, Drogen, Loverboys, Menschenhändler, Ausbeuter (manchmal auch die bösen Freier) etc. vorgeschoben werden müssen. So zimmert sich Diakonie und Kirche ihr Weltbild zurecht. Traurig das miterleben zu müssen, wie das sogar auf motivierte Berater mit Sexworkpraxiserfahrung abfärbt.

So wird auch verständlich, dass es die Helferindustrie auch über die Jahrhunderte nicht geschafft hat die teilweise prekären Verhältnisse der Sexworker und Migranten entscheidend zu verbessern wie Laura Agustín festgestellt hat. Möglicherweise ist das auch gar nicht angestrebt. Wer sägt schon am Ast, auf dem er sitzt.


Auch wenn Giesela Zohren sicher gute und beherzte Einzelfallhilfe seit vielen Jahren und für viele Sexworker leistet, so finde ich solche Aussagen und Aufsätze unerträglich und sehr beschädigend für die Sache der Sexworker-Emanzipation und politisch Aufklärung.

Hoffentlich werden wenigstens die Chancen für einen Neustart von der neuen Beratungsstelle PINK genutzt.





.
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 06.08.2011, 08:27, insgesamt 1-mal geändert.

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Vorbild - Rollenmodel

#173

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Toller Artikel und Person die Fraences gefunden hat.


Ex-Sexarbeiterin, die einen erfolgreichen Umstieg geschafft hat:

Simone Schönfuss



aus Löffingen im Schwarzwald
Wahlberlinerin
Mediatorin, Coach, Seminarleiterin
mit eigener Modekollektion "Amor Vita Est – Liebe ist Leben"
Buchautorin

Bild

Autobiographie "Laut und Deutlich"
2004
www.amazon.de/dp/3937791019




Bild
Simone, 48, war 4,5 Jahre Domina

www.simone-schoenfuss.ch
www.simone-schoenfuss.de

Zeitungsbericht aus dem Heimat-Dorf im Schwarzwald:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=102617#102617
www.badische-zeitung.de/loeffingen/mode ... 59744.html


Geglücktes Outing: Ihr offener Umgang mit ihrer Sexarbeitserfahrung und Vergangenheit scheint ihr nicht geschadet zu haben, im Gegenteil...

...ihr medialer Erfolg beruht ganz entscheidend auf der Offenheit und Selbstvermarktung als Ex-Sexarbeiterin.

Die Lebenserfahrung in der Sexarbeit, auch wenn es negative waren und diese als veröffentlichbares und vermarktbares Produkt aufbereitet und aufgeschrieben zu haben, ist ganz wesentlich das Startkapital in ihre neue Lebensphase. Ein gelungenes Sexworker-Outplacement.

Ihr soziales Engagement und Hilfseinsätze für Benachteiligte in Berlin, Berliner-Tafel (Menschen mit Handicap, andere Sexworker, Schwule, Lesben und Arme) ist beachtenswert. Es zeigt welche mentale Kraft sie hat und wo und wie sie ihrem Handeln Sinn und Orientierung gibt. Sie erinnert mich an Domenika, die einen ähnlichen Weg gegangen ist:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=4046

Linkliste erfolgreicher Sexworker:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=97445#97445





Gefangen zwischen unmöglichen Alternativen:
Voice v. Exit

Öffentlichkeitsarbeit inkl. Zwangsouting oder Zwang zum Ausstieg


www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=37588#37588

Simone hat die gegensätzlich erscheinenden Exit- oder Outplacement-Routen: "Voice" oder/und "Exit" miteinander vereinigt, vermählt und versöhnt.

Der Schlüssel zu ihrem Erfolg.





[Vorsicht: Dies ist eine Ferndiagnose. Keine Haftung von mir oder vom Sexworker Forum bei Themen zu Lebensberatung und Gesundheit.]

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Doppelleben verschärft Absturzgefahr

#174

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Verborgenes Austiegs-Wissen:

Psychologische Falle von Absturz und Scheitern - bisher ein großes Tabu !!!



Weiter oben hatte ich bereits den fragwürdigen "Ausstiegs-Vortrag" von Gisela Zohren, Dortmunder Mitternachtsmission der evangelischen Diakonie kritisiert. Er wurde gehalten anläßlich der Einweihung der neuen Ausstiegsberatung PINK der Diakonie in Baden Württemberg. (Diakonie, d.h. evangelische Kirche betreibt fast marktbeherrschend die meisten staatlich finanzierten Sozialberatungsstellen für Prostituierte. Gisela ist m.E. bisher die einzige Ex-Sexarbeiterin, die ihr Fachwissen beruflich in dieser Funktion einbringen kann. (Eine Quotenregelung für mehr Sexworker-Fachkompetenz ist langfristig notwendig. Siehe: Affirmative Action Policy // Sexworker Selbstermächtigungs Strategie, S³)

Aber anstatt dass in ihrer Präsentation wesentliche, hilfreiche Tipps für Sexworker kommuniziert und erklärt werden, versteigte sie sich in fragwürdige arbeitgeberkonforme Behauptungen wie z.B. sinngemäß: "die meisten Sexarbeiter wollen aus der Prostitution aussteigen". Doch jetzt kann erklärt werden, dies ist nur ihre biographisch-subjektiv geprägte und vermutlich verzerrte Wahrnehmung.





Denn jetzt lief im Fernsehen eine Dokumentation über ihr eigenes Leben. Dabei hatte Gisela Zohren wieder mit dem Regisseur Werner Krieg zusammengearbeitet, der auch schon den Dokumentarfilm über ihre jetzige Sozialarbeit zur Ausstiegshilfe bei der Diakonie der evangelischen Kirche dargestellt hatte. Dort hatte sie die Kontakte zu den dokumentierten Sexworkern hergestellt (Gatekeeper Funktion) und hat auch selbst ihren Auftritt im Film, als kompetente Anwältin der Sexworker-Interessen, die alle verwaltungstechnischen Tipps und Trix zum Umgang mit Behörden und Versorgungsträgern kennt. Doku: "Ich war Hure, aus dem Bordell in die Altenpflege".

Doch auch dieses staatlich geförderte "Ausstiegs-Konzept" hat schwere strukturelle Defizite, wie bereits der Abschlußbericht des NRW-Projekts ANAKAO nachgewiesen hat (Altenpflege ist unterbezahlt, kirchlicher Träger stellte nur eine Sexarbeiterin und nur auf 400 Euro-Stelle ein, also kaum Erfolgsquote, Sexarbeiter waren in Projektplanung nicht eingebunden und wurden paternalistisch behandelt...).





Die aktuelle Dokumentation über ihr eigenes schweres Leben erweist sich als eine Geschichte von Einstieg UND Ausstieg aus der Prostitution auch wenn der Film ein anderes Thema hat. Die gezeigten Szenen konzentrieren sich inhaltlich auf den Einstieg in die Prostitution indem gezeigt wird, wie sie nach langer aussichtslos erscheinender Arbeitslosigkeit den Entschluß zu Sexarbeit trifft. Später wird mitgeteilt, dass sie die Stelle bei der Diakonie fand, wo sie heute anderen Sexarbeitern beim Ausstieg behilflich ist.

Der Film ist eigentlich eine Dokumentation über den Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit, von sogenannten heimlichen Arbeitslosen. Aber er enthält damit zugleich auch das geheime Wissen über den Ausstieg aus der Sexarbeit!

Wie wir alle wissen, ist Sexarbeit eine von dafür geeigneten Menschen oft rational gewählte Option bei Arbeitslosigkeit oder fehlendem Einkommen. "Sexwork is Work! // Sexarbeit ist ein Beruf!" Doch zur Sexarbeit muß man nicht nur nach "Marktkriterien" geeignet sein (begehrt, willig), sondern man muß die Arbeit auch mögen UND man muß die Arbeit, d.h. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir hier im Forum so umfangreich dokumentiert und kritisiert haben, auch aushalten können (Sammelthema: "Sexworker-Kompetenzen"). Um es kurz zu machen, es wird aus der Dokumentation ersichtlich bzw. so dargestellt, dass Prostitution keine freiwillige Wahl für sie war, sondern lediglich der existenzbedrohenden, wirtschaftlichen Not entsprang. Insofern wird hier das erweiterte Denkkonzept "Zwangsprostitution" angewenet, im Sinne von gezwungen sein durch Armut und wirtschaftliche Verhältnisse. Es wird von Prostituionsgegnern wie z.B. den Kirchen vertreten und medial laut vortragen. (Dass dies eine höchst fragwürdige Erweiterung der Definition von Zwang ist (etwa im Gegensatz zur Legaldefinition im Strafgesetzbuch in den Paragraphen Menschenhandel und Zuhälterei), zeigen alle die Berufstätigkeiten an, in denen Leute nicht mit besonderer Freude arbeiten, weil die Jobs kaum existenzsicherndes Einkommen ermöglichen (working poor) und erstrecht kein soziales Prestige (Unterschichtjobs, prekäre Arbeit). Eine angemessenere ökonomische Analyse von Sexarbeit unter den Bedingungen des Kapitalismus gibt uns Dr. Helen Ward vom Imperial College, London (auf deutsch):
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=2288





Der Dokumentarfilm (Ankündigungstext s.u.) zeigt drei verschiedene Menschenschicksale und ihre seelischen Schwierigkeiten durch die Arbeitslosigkeit. D.h. wie es den meiste Protagonisten des Films NICHT gelingt den Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit würdevoll nach eigenen und gesellschaftlichen Maßstäben mit Hilfe der Sozialsysteme zu schaffen. Das Stigma "Scheitern und Arbeitslosigkeit" steht diesen Menschen im Weg. Ein portaitierter Mann wird sogar zum kriminellen Räuber als ihm die Rücklagen ausgehen und finanziert sich ab dann durch Überfälle auf Drogeriemarkt-Kassiererinnen und landet später im Knast... (P.S. Diese Story verdeutlicht, dass Angestellte im Schlecker-Markt einen extrem gewalt-gefährlichen Job haben, etwa im Vergleich zu Sexwork:)

Giselas Story vom Einstig in die Sexarbeit ist in sofern die Erfolgsstory der Doku über versteckte Arbeitslosigkeit und wird auch als letzte, quasi als Höhepunkt präsentiert, weil sie nämlich so den Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit tatsächlich selbstorganisiert geschafft hat. Dennoch formuliert der Film die Botschaft, Prostitution ist nicht gesellschaftlich akzeptiert und ein Konzept 'Ausstieg aus der Arbeitslosigkeit durch Sexarbeit', will/darf der Film keinesfalls vertreten. Sie hat es ja auch mit Glück später nach vorübergehender Sexarbeit zum Job bei einer kirchlichen Beratungsstelle geschafft, wie der Film sich beeilt mitzuteilen.

( P.S. die bei dieser Produktion gewählten Maßnahmen zur Verschleierung von Identität und Schutz der Privatspäre sind nur eingeschränkt wirksam, da Bekannte, Ex-Kunden, Arbeitgeber einen dennoch erkennen und daher für Sexworker/Ex-Sexworker nur sehr eingeschränkt empfehlenswert. Umfangreiche Tipps für Sexworker bei Filmproduktionen hier:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=943&start=32 )





Die zentrale Aussage des Films ist die psychologische Extremsituation und Falle, in die alle drei Personen im Film geraten sind, nachdem ihnen durch Arbeitslosigkeit die wirtschaftliche Existenzgrundlage entrissen wurde. Sie geraten in eine Isolationsfalle und stürzen ab in ein tiefes seelisches, soziales und wirtschaftliches selbstzerstörerisches Loch. Nun kann sich jeder von uns ausrechnen, dass eine Sexarbeiter_in, die arbeitslos/arbeitsunfähig wird und einen anderen Job braucht, z.B. weil sie einen Unfall hatte, krank wurde, ausgebrannt ist (SWBO), durch kriminelle Gewalt entstellt wurde, traumatisiert ist, zu alt ist, keine Lust und Kraft mehr hat etc., in eine verschärfte weil doppelt schwere seelische Falle von Stigmatisierung durch Arbeitslosigkeit plus Prostitutionsstigmatisierung stürzen kann und bis zur (auch für andere) lebensbedrohenden Krise oder Kartharsis gefangen gehalten wird.

Der Sexworker-Film Melissa: Mom and Me zeigt eine solche Situation und ich denke jeder der viel Beratung und Hilfe für Sexarbeiter leistet, kennt in Rückschau aus seiner persönlichen Erfahrung auch solche Fälle, selbst wenn er sich bisher nicht darüber im klaren war und es benennen konnte. Denn dieser seelische Mechanismus wird meist nicht thematisiert geschweige denn aufgearbeitet und mit Lösungsmöglichkeiten beantwortet. Kaum einer fragt nach und es gibt viel kollektive Sprachlosigkeit und erstrecht keine Krisenbewältigungsmechanismen und Institutionen, die einen geregelten, würdevollen Übergang und Krisenbewältigung ermöglichen. Weder für Arbeitslose allgemein und erstrecht keine für arbeitslose/arbeitsunfähige Sexworker.

Dabei ist es ein elementares Verhaltensmuster, welches im ältesten Teil unseres Gehirn gespeichert ist. Dort gibt es biochemische Programme für Krisensituationen (im Lust-/Angstzentrum Amygdala (Mandelkern) im limbischen System (Saumstruktur) mitten im Großhirn). Sie lauten vereinfacht je nach verfügbarer Power oder Testosteron-Level:
  • Angriff
  • Flucht
  • Totenstarre
Die Lebewesen mit den geringsten vitalen Ressourcen nutzen also einen Mechanismus, der im Tierreich zwar hilfreich sein kann, weil er das Interesse des Jägers nach Lebendnahrung abklingen läßt, aber in einem menschlichen, arbeitsteiligen Fremdversorungs-Wirtschaftssystem mit ökonomischen Fließprozessen, wo ständig Kosten entstehen (Miete, Steuern, Pflicht-Versicherungen...), die eine horrende Verschuldung aufbauen lassen können (Zinseszins erzeugt Verschuldungs-Knechtschaft), ist Nichtstun und Selbstisolation über kurz oder lang immer selbstzerstörend. Das scheint mir eine der Kern-Probleme und Stigma- und Ausgrenzungsbedingten Fallen in der Prostitution zu sein. Prostitution ist somit zugleich Lösung für ökonomische Probleme und zugleich Verursacher für ökonomische Probleme!!! Das ist das (doppelköpfige) Janusgesicht der Prostitution solange es keine nachhaltigen Lösungskonzepte gibt (im Sinne von Lebenslaufbetrachtung und Huren Karriere Management), wie Sexwork in der Gesellschaft akzeptiert und integriert werden kann (vgl. Zivildienst, Seelsorge).

Ursache für Totenstarre und Selbstisolation sind die uns allen sehr vertrauten Themen: Moral, Schuld, Scham, Scheitern, Versagen, Heimlichtuererie, Doppelleben, Stigmatisierung, Ausgrenzung, Entmenschlichung, Opfer/Täter-Diskurs, Menschenhandels-Hype und -Mythos, Moral-Panic, War against Whores // Krieg gegen Prostitution, steuerliche Sonderbehandlung und gesetzliche Kriminalisierung ... die hier im Sexworker Forum umfangreich mit Medienquellen und Sexworker-Selbstbezeugungen dokumentiert sind.

Exkurs: Die kapitalistisch orientierten USA waren lange Zeit wirtschaftlich um ein Vielfaches erfolgreicher als die zivilisierte alte europäische Welt, nicht zuletzt deshalb weil sie wirtschaftlich gescheiterten Menschen einfachere Wege zum Neuanfang bieten. Es gibt bereits seit 1898 ein quasi grundgesetzliches Recht auf Privatinsolvenz und geordnete Entschuldung nach wirtschaftlichem Konkurs. Diese andere gesellschaftliche Einstellung zu Unternehmertum und Scheitern ermöglicht Lernen durch Irrtum und eröffnet letztlich mehr Möglichkeiten für den einzelnen Menschen und damit die Gesellschaft insgesamt. Ohne dieses "Menschenrecht zur zweiten Chance" hätten Leute wie Mark Twain, Buster Keaton und Henry Ford nie Erfolg gehabt.





Ich hoffe diese Filmrezension und grundsätzlichen Überlegungen bringen die Diskussion über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten der prostitutionsimmanenten Probleme weiter voran, damit Sexworker bessere Hilfen für mehr Berufssicherheit bekommen können. Dann hätte auch das mutige/unfreiwillige Outing von Gisela seinen höheren Sinn. Insofern bin ich immer sehr froh zu erfahren, wenn Sexworker bei Hilfsprojekten mitarbeiten können, so wie zuletzt für kurze Zeit eine Kollegin von uns bei PINK in Baden.

Das mannigfaltige Schweigen in Bezug auf die janusköpfige Prostitution muß durchbrochen werden, wenn Ausstiegshilfen und Sexworker-Beratung zeitgemäß, wirksam und wirklich radikal nachhaltig sein will. Dazu braucht es qualitätsvolle und sexworker-eigene Forschung und Mitarbeit. Die wird allerdings ohne entsprenchende Finanzierung und SW-Inklusion nicht zu haben sein.





TV-Doku: Die Heimlichtuer - Arbeitslose und ihr Doppelleben

Dokumentation von Werner Krieg 2011


Bild


Sie sind arbeitslos, versuchen dies jedoch gegenüber ihrer Umwelt zu verheimlichen und spielen Familie und Freunden ein geregeltes Arbeitsleben vor. Autor Walter Krieg hat drei Menschen mit der Kamera begleitet, die ein solches Doppelleben führen.
Die Dokumentation beschreibt ihren Alltag und erzählt, wie sie in diese Situation geraten sind. Es ist ein Film über Existenzängste, Realitätsverlust und den verzweifelten Versuch, Würde zu bewahren. Und über eine Gesellschaft, in der Arbeitslosigkeit vielfach noch als selbstverschuldet und Makel gilt.

Fall 1: Jeden Morgen bringt Jutta ihre beiden Kinder mit dem Auto zur Schule und fährt dann weiter zur Arbeit. Jedenfalls glauben das die Kinder und ihr Ehemann. Sie hat ihren Job in der Anzeigenabteilung einer Zeitung verloren und empfindet ihre Arbeitslosigkeit als Makel und Schande. Sie schämt sich so dafür, dass sie alle glauben lässt, sie führe immer noch dorthin zur Arbeit. Stattdessen drückt sich Jutta in Einkaufszentren oder Parks herum - immer in der Angst, erkannt zu werden. Als sie am Ende immer dringlicher Geld braucht, arbeitet sie in ihrer Verzweiflung heimlich als Prostituierte. Erst bei einem Ehestreit kommt alles ans Tageslicht und Juttas Welt liegt in Trümmern.

Fall 2: Arthur hat einen sehr gut bezahlten Job als leitender Angestellter in einem Unternehmen für Autoteile, ein Einfamilienhaus am Rand einer bergischen Kleinstadt, eine funktionierende Ehe und viele Bekannte. Als ihm unerwartet gekündigt wird, sieht er das alles in Gefahr. Treibt ihn diese Angst dazu, seiner Familie, seinen Freunden und Verwandten die Arbeitslosigkeit zu verheimlichen und nach wie vor jeden Morgen - standesgemäß mit Hemd und Krawatte - aus dem Haus zur "Arbeit zu gehen"? Tatsächlich packt er seine Thermoskanne jetzt auf dem Arbeitsamt aus und studiert stundenlang die Jobangebote. Dann macht er sich Gedanken, wie er die quälend lange Zeit bis zum "Feierabend" verbringen kann, ohne dabei auf Bekannte zu treffen. Doch schließlich muss er seiner Frau gestehen, dass alles Erspartes aufgebraucht ist und er sie monatelang belogen hat.

Fall 3: Auch Werner hat seinen Job verloren und war einige Zeit auf Arbeitssuche. Weil er die besorgten Fragen von Familie und Freunden nicht mehr aushält, erzählt er allen, dass er wieder Arbeit hat. Monatelang lebt er von Erspartem. Als kein Geld mehr übrig ist und er nicht mehr weiter weiß, tut er etwas, was er heute nicht mehr versteht. Er überfällt immer wieder kleinere Drogeriemärkte, um Geld für Miete und Lebensmittel zu haben. Zwei Jahre zieht er das so durch, bis er am Ende gefasst und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wird. Heute kann er sich eingestehen, dass ihm der äußere Schein zu wichtig war, dass seine Freunde ihn wegen seiner Arbeitslosigkeit nicht verachtet, sondern ihm geholfen hätten, dass er eine Fassade aufrecht gehalten hat, die irgendwann einstürzen musste.

Quelle:
www.3sat.de/page/?source=/specials/153211/index.html

Als Video nur für gewisse Zeit in der ZDF-Mediathek
(wg. Depublikationszwang gem. Medienstaatsvertrag).

Mehr Infos beim ZDF:
http://37grad.zdf.de/ZDFde/inhalt/14/0, ... 02,00.html





Siehe auch neu von mir im Thema Geld-Tipps:

Finanzielles Berufswahlrisiko Sexwork

PDF zum download:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=103388#103388





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 26.09.2011, 01:38, insgesamt 3-mal geändert.

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RE: sexworker.at/exit = Aus- Umstieg, Huren-Karriere Managem

#175

Beitrag von fraences »

Lieber Marc,

dein analysierender Verstand hat uns dazu veranlasst folgende Gedanken zu entwickeln:

Der gesellschaftliche Konsens ist und war immer schon manipuliert und in einem Austauschheer von Bütteln, Lohnsklaven und andersartiger Abhängiger fest verankert von einer Macht- und herrschaftsbewussten Obrigkeit. Politik und Religion kreieren und setzen die Maßstäbe.In der Urzeit waren es die physisch Stärkeren, welche die Verhältnisse dominierten und bestimmten.Heute wird dieses Bild von den Universitäten massstabgetreu übertragen in dem Sinne, das Intelligenz dahingehend ausgebildet, geführt und geleitet wird, diese archaischen Vorstellungen subtilisiert fort zu führen.

Unseren so genannten Eliten werden einem bestehenden System der Ünterdrückung und Herrschaftserhaltung angepasst und eingefügt. Wer hier nicht mitmacht wird ausgesiebt und fällt in die Klandestinität oder härter, in die Illegalität.Unterhalb des Rasters kreieren die ins Abseits Gestellten jedoch immer wieder ihre eigenen Vorstellungen von dem, was sie, fortschreitend in Zeit und Entwicklung, für ein sinnvolles Leben halten.Sobald jedoch diese Outdoorverhältnisse sich selbst organisieren lernen, treten Mechanismen wie Aufstandbekämpfung, Kriminalisierung und andere Unterdrückungsmechanismen in Kraft.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt radikalisieren sich die Verhältnisse und es kommt entweder zu einer Pattsituation oder gar zur Revolution. Mündigkeit ist nicht lediglich ein Ausdruck von Oben oder Unten, sie ist Ausdruck eigener Persönlichkeit,des eigenen Willens, und der Selbstverantwortung.

Das sogenannte Unten sollte niemals schielen auf die Integrationskraft des Oben,sich weder anbiedern, noch Bestrebungen entwickeln, Bestandteil überalterter Vorstellungen zu werden. Sie muss lernen, das eigene Lebensverständnis als Gegenkraft zu organisieren. Nur in dieser Auseinandersetzung setzt sich jeweils Energie zur besseren, zeitgemäßeren Kreation frei.
Es sind nicht das Kolosseum, Fußballstadien oder Massenmedien, diese Ersatzbefriedigungen von Brot und Spielen, die uns ins Leben führen, sondern die radikale Ablehnung derart in die Ohnmacht führender Illusionen.

Aus Berufserfahrung erkenne ich die Bruchkanten, insbesondere was die Prostitution innerhalb dieser Verhältnisse betrifft, deutlich. Die innere Zerrissenheit vieler Sexworker, die menschlich zerbrechen auf der Grundlage solcher Vorbedingungen, werden immer wieder sichtbar in klaren Bildern, wenn Individuen an der Zerreißprobe scheitern oder zerbrechen. Entscheidungsunfähigkeit führt in eine Traumlandschaft, damit in den Tod.
Ich habe viele Frauen gesehen, die wirklich Spaß und Freude hatten an sich und ihrer eigenen Sexualität, gleichzeitig aber betroffen und angegriffen waren von gesellschaftlichen Dünkeln. Leben beginnt an dem Punkt, an welchem Emanzipation ob weiblich oder männlich, sich derart selbst gestaltet, also aus sich selbst heraus erlebt, um Zusammenhänge und Lösungen zu entwickelen.
Der hohe Grad von Assoziationsfähigkeit, verschiedenste Erfahrungs- und Wissenbereiche auf ureigenste Weise neu miteinander zu verknüpfen, bedeutet jeweils das evolutionäre Weiter. Es gibt keine Sicherheit! Unser Leben ist ein Drahtseilakt: Jeder tanzt und balanciert auf ureigenste Art und Weise, stellt es den Mitmenschen frei, eine Weile daran Teil zu haben, im Sinne von Choreographie, welche in einer Ergänzungs-und Zweckgemeinschaft den gemeinsamen Tanz auf die Weltbühne stellt,von dortaus das Gesicht der Ärmsten und der Schwächsten anspielt und einlädt, den noch nicht selbst erkannten eigenen, einzigartigen Wert einzubringen.

Es gibt keinen Ausstieg und keinen Einstieg, was bleibt ist und war immer eine selbstverantwortliche Existenz, die authentisch eigenen Vorstellungen folgt auf der Basis von dem was ist oder war. Dieser Weg ist nicht bequem und hat seinen Preis, denn er ist ein Schwimmen gegen den Strom, im besten Fall als Rettungsschwimmer.

Schöne Grüße, Black Roses (Günni und Fraences)
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Re: Doppelleben verschärft Absturzgefahr

#176

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für diese schönen Gedanken.

> Leben beginnt an dem Punkt, an dem Emanzipation sich derart selbst gestaltet, dass es ohne Vorgaben und aus sich selbst heraus erlebt, Zusammenhänge und Lösungen entwickelt.

Da sprecht ihr das heikle Thema Selbstverantwortung an, welches in einer abhängigen, manipulierten oder süchtigen Gesellschaft oft nicht gesund ausgebildet ist. Wer trägt schon die Verantwortung d.h. Konsequenzen für sein eigenes Tun vollständig selbst und versucht es nicht irgendwie zu delegieren, verheimlichen, versichern, verleugnen...

Auch ein Ausdruck der Europäischen Psychostatistik, die hier an anderer Stelle diskutiert wird:





1/4 bis 1/3 aller Europäer leiden unter psychischen Störungen

Mind. 1 psychische Störungen pro Jahr und Einwohner (Metaanalyse Europa, Disability-adjusted life years, DALYs):

26,6% oder 1/4 der gesellschaftlichen Gesamtbelastung durch Krankheiten in der EU sind von psychischen Störungen verantwortet.

Code: Alles auswählen

100% 514   Millionen Menschen in Europa. Davon:
 32% 164,8 Millionen Menschen - psychischen Störungen (1/3 oder 38,2% [doccheck])
 12%  61,5 Millionen Menschen - Angststörungen (14%)
  7%                          - Schlafstörungen
  6%                          - psychosomatische Störungen
  6%  30,3 Millionen Menschen - Depressionen
  5%                          - Aufmerksamkeit Hyperaktivitätsstörung
  3%  14,6 Millionen Menschen - Alkoholsucht (und Drogensucht >4%)
  1%   6,3 Millionen Menschen - Demenzerkrankungen (60-65 Jährige, bis 30% bei Personen > 85 Jahre)
  0,1  1,5 Millionen Menschen - Essströung (3 Promille)
Die vier am stärksten belastenden Erkrankungen sind:
1. Depression
2. Demenzen
3. Alkoholabhängigkeit
4. Schlaganfall
[Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen, Technischen Universität Dresden][/font]





Zum Dokumentarfilm fällt mir jetzt die neulich diskutierte "Volksweisheit" ein. Sie muß korrigiert werden und lautet dann:
Heimlichtuer-Gut passt in einen Fingerhut




Adverse Childhood Experiences (ACE)
Traumatisierende Kindheitserlebnisse


Schädigung des Gehirn und damit des Sozialen-Lernvermögens im Zustand von Existenzangst, Kampf- oder Fluchtinstinkt (flight, fight or fright mode).

Bild

Weit verbreitet z.B. U.S.A. Zahlen:
www.cdc.gov/ace/prevalence.htm
www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9635069

Sexuality Study: Adverse childhood experiences and sexual risk behaviors in women: a retrospective cohort study.
Conclusions: Among individuals with a history of adverse childhood experiences, risky sexual behavior may represent their attempts to achieve intimate interpersonal connections. Having grown up in families unable to provide needed protection, such individuals may be unprepared to protect themselves and may underestimate the risks they take in their attempts to achieve intimacy. If so, coping with such problems represents a serious public health challenge.
www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11589541





Ökonomisch-politische Ursachenanalyse:
"Unsere Gesellschaft produziert sich widersprechende Zielvorstellungen!" Folge ist krankmachende Kognitive Dissonanz
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=105839#105839
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Aus dem Leben der Stars

#177

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Sozialer Absturz
und wie man heraus kommt:

Sendung "Prominent aber pleite"



Dargestellt werden drei Berühmtheiten, ihr Absturz und wie sie damit umgehen, leben und einen Neuanfang starten...
Tanja Schumann, Commedy-Star
Brigitte Kenter, Schauspielerin
Franz Trojan, Musiker der Spider Murhy Gang

Video:
www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1 ... ber-pleite
Info:
www.37grad.zdf.de/ZDFde/inhalt/11/0,187 ... 59,00.html


Stufen des Abstiegs:
- Jobverlust = Verlust der Arbeit des Einkommensplatzes
- vergebliche Jobsuche wg. Arbeitsplatzmangel und Reservearmee,
- entwertete Ausbildung, Lücken im Lebenslauf, versäumte Fortbildungen und Karriereschritte
- Jobcenter, Hartz IV/Sozialhilfe
- Zerbrochene Partnerschaft, gebrochenes Herz
- Schwangerschaft, alleinerziehend
- falschen Freunden/Beratern vertraut
- Unfall, Arbeitsunfähigkeit
- Krankheit, fehlende Krankenversicherung, Schulden
- Gewalterlebnis, Trauma
- Krankmachendes Umfeld, Burn-out, seelische Krankheit
- Selbstmedikation mit Drogen, Sucht
- aufgebrauchte Reserven
- Kredit- und Zinseszinsfalle, Schulden
- Manbescheid, Gerichtsvollzieher, Vollstreckung, Verpfändung, Zwangsversteigerung
- Überschuldung, Offenbarungseid
- Mietschulden, Räumungsklage, Obdachlosigkeit/Leben bei Freunden, Wohnwagen, auf der Straße oder im Obdachlosenasyl
- Armut, Lebensmittel von der Tafel, Second Hand Kleider von Hilfsorganisationen
- Diebstahl/Raub, Festnahme, Verurteilung, Gefängnis
- Entmündigung und Zuteilung des Taschengeldes vom staatlich bestellten Vormund
- Verlußt der Menschenwürde, Perspektivlosigkeit
- Selbstmordversuch, Suizid/Tod

Mögliche Ursachen:
0. ohne "Segen" oder Selbstliebe sein
1. viel Pech
2. Anfangstrauma "Ich bin nicht gewünscht, nicht richtig, bekomme nicht genug" (Mangelsystem, Null-Summen-Spiel)
3. eine riskante trotzige Lebenseinstellung wie z.B. "ihr könnt mich alle mal, eher bin ich weg oder tot als dass ich sowas wie diese Gesellschaft mitmache oder akzeptiere"
4. die Dinge schleifen lassen, sich nicht kümmern, abspalten wg. paralysiert sein aus Angst
5. Selbst-Isolation
6. sich selbst aufgegeben haben bzw. selbstzerstörerische Programme laufen haben...


Stufen des Aufstiegs:
- Bewustseinsänderung, Katharsis, Aha-Erlebnis, Todesangst
- Beratung und Hilfe suchen, annehmen können
- Schuldnerberatung, Suchtberatung
- Privatinsolvenz
- Therapie als Weg zur seelischen Heilung
- Verarbeiten und Abschließen mit der Vergangenheit, Integrieren, sich Annehmen, Selbstliebe
- Neuorientierung, Sinnfindung, neue Ziele und Einstellungen erarbeiten (Vision Quest)
- Neue Kontakte aufbauen, wieder unter Menschen gehen
- neue Partnerschaft, Liebe
- verschüttete Ressourcen mobilisieren, Mut fassen
- Erwartungen herunterschrauben, Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen trainieren
- Neues Erlernen, sich umstellen
- Eigeninitiative und neue Projekte angehen
- neue Karriere, Erfolg
- Altersvorsorge
- Familiengründung
- hoffnunsvolle offene Zukunft

Mögliches Erfolgsrezept:
0. Mit Beistand und Segen und Selbstliebe
1. Glück haben
2. Anfangsglück "Ich bin gewünscht, für mich ist gesorgt und immer genug da" (Überflußgesellschaft)
3. sich an unabänderliche äußere Sachzwänge anpassen und nachgeben, in gewissen Dingen flexibel sein wie Wasser
4. stets nach Verbesserung streben (der Dinge die man beeinflussen kann: seine Taten, Worte und Gedanken), mutig in die Welt gehen, Demut & Beharrlichkeit, sich nicht überfordern, für sich selbst sorgen
5. Sozialität, Freundschaft, Vernetzung
6. Salutogenese, Selbstheilungsfähigkeit, Selbst-Wert-Management, Überlebenswille, Leistungswille...





Nichtstun oder Trotz, weil man z.B. paralysiert ist durch Zukunfts-Angst, ist im Wirtschaftsleben einer kapitalistischen Fremdversorgungswirtschaft entgegen der landläufigen Alltagsvorstellung kein Stehen-, Sitzen- oder Liegenbleiben, sondern Zahlungsverzug und dann folgendes schwer aufzuhaltendes Abrutschen in eine mit Zinseszins beschleunigte Schuldenspirale (moderne und allgemein akzeptierte Schuldknechtschaft).

Bild

Wer die Kontrolle über sich aufgibt, der wird fremdbestimmt von Kräften des Kapitalmarktes (Bank, Inkassogesellschaft, Rechtsanwalt, Gerichtsvollzieher), die es verstehen professionell das Maximum aus einem Schuldner herauszuziehen so wie es obige Kurven verdeutlichen sollen. Die Ungerechtigkeit der bestehenden Klassengesellschaft liegt nun darin, dass diese Markt- und Geld-Gesetze den unteren arbeitenden Klassen nicht mitgeteilt werden, und sie diese also nicht produktiv nutzen können, wenn sie selbst im Arbeitsleben stehen. (Es ist quasi wie beim Spielkasino: Die Bank gewinnt immer).

Das Thema "Sicherheit & Geld" soll dem abhelfen:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=98154#98154





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 26.03.2012, 12:09, insgesamt 3-mal geändert.

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Divas Anonymous

#178

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Parodie über den Zickenkrieg alternder mit jungen Unterhaltungskünster_innen

... Liza Minelli, Streisand, Cher, Madonna, Lady Gaga ...


Divas Anonymous (3 Teile)
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=mIK2y_NA32M[/youtube] by Drag queen Charlie Hides
www.charlieHidesTV.com

(Der ältere Bruder von Madonna (53 und 42 Millionen Euro Jahreseinkommen), Anthony Ciccone (55), lebt nach eigenen Angaben seit eineinhalb Jahren unter einer Brücke:
www.focus.de/panorama/boulevard/tragisc ... 77533.html)





Brauchen wir ein Sexworker/Ex-Sexworker-Unterhaltungskünstler-Anonymous?

Cleo van Eden ist eine Sexarbeiterin, die ihren Ausstieg langfristig und gut vorbereitet hat, indem sie sich parallele Geschäfte wie z.B. Buchveröffentlichung und Web-Cam-Portal aufgebaut hat. Über ihre dann doch plötzliche Entscheidung des Ausstiegszeitpunktes läßt sie freizügig berichten in der schönen ZDF-Fernseh-Dokumentation von Susanne Brand:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=105356#105356

1. Sexworker-Altenheim "Xochiquetzal House / Haus der Liebesgöttin" in Mexiko City:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=25972#25972





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 24.10.2011, 15:13, insgesamt 1-mal geändert.

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Leben-Phasen-Zyklus Sexwork

#179

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Lebenlaufbetrachtung Sexwork


Sexwork, Prostitution wird extrem polarisiert erlebt und bewertet (Janusköpfigkeit der Prostitution), weil es inkompatibel (unverträglich) ist mit dem hegemonialen (vorherrschenden) Leitmodell Familie (im Patriarchat). Sexwork kann daher zur Falle werden, weil es gesellschaftlich stigmatisiert bis kriminalisiert ist und in dieser rechlichen Grauzone nach archaischen Regeln zwischen Biologismus und Raubtierkapitalismus funktionieren muß.

Prostitution ist einerseits begehrt und stark nachgefragt wegen Trieb, sexueller Selektion (Sexappeal) und großen mehr oder weniger kurz-mittelfristigen ökonomischen Erfolgchancen (cash sofort). Das sexuelle-menschliche Potential wird dabei eingesetzt (bzw. ausgebeutet), was jedoch nicht bis zum Rentenalter oder Lebensende trägt im Vergleich zum überlieferten Familienversorgungsmodell oder modernen Sozialversicherungs-Berufsmodell. Die Ausbeutung der eigenen sexuellen Ressourcen ("Körper verkaufen") ist gewissermaßen vergleichbar dem System der gesellschaftliche Energieversorgung basierend auf einem begrenzten fossilen Rohstoff Erdöl. Bei Sexwork existiert keine gut sichtbare, vorgezeichnete, abgesicherte nachhaltige berufliche Zukunft oder Laufbahn wie beim Familienmodel oder geregelten Berufen (etwa Beamte oder sozialversicherte Vollzeiterwerbstätige) oder gesellschaftlich regenerativer, nachhaltig umweltverträglicher Energienutzung.

Jeder Sexarbeiter kommt daher zwangsläufig in mehr oder weniger schwere Berufs- und Lebenskrisen (mit erzwungenem Strukturwandel), so wie unsere Gesellschaft insgesamt hinsichtlich der räuberischen Energieversorgung und der früher oder später notwendigen Umstellung aufgrund von Peak-Oil (Ressourcen-Ende), Umweltzerstörung (Klimawandel) oder/und Systemversagen (Kapitalismuskrise).

Klar, Sexwork wird primär und vordergründig ausgeübt wegen des Geldes (Überlebenssexualität bis Berufstätigkeit), aber es ist auch eine Protest-Lebensform, die tief mit der persönlichen Psychostruktur und Biographie verknüpft ist. Sexworker erleben frühzeitig oder zufällig ihre sexuelle Potenz im sozialen Kontext und setzen diese Ressource legitimerweise selbstentschieden und zumeist selbstbestimmt ein, um sich Autonomie und Existenzsicherheit zu verschaffen (insbesondere gegenüber Herkunftsfamilie, Heim- bzw. Berufswelt und Gesellschaft allgemein).

Gelegentliche Standortbestimmung (Selbstreflexion, Coaching, Biographiearbeit, Therapie), evt. mit Kurskorrekturen, Fortbildungen (Sexworker Akademie) etc. sollen helfen den eigenen Berufs- und Lebensweg leichter finden und gehen zu können, insbesondere vor dem Hintergrund, daß viele Sexworker sehr isoliert und nicht beruflich vernetzt sind (Sexworker Union, self-regulatory Board, Sexworker Forum).



Wichtige typische Sexwork Phasen:
  • Prostitution als Skandal, Tabu und Schimpfwort kennenlernen
  • Ein verlockendes Angebot bekommen, es ausprobieren
  • Gefallen finden, es können, inneres Coming-out
  • Gelegentlich Kunden bedienen für "Taschengeld" (nebenberuflich, clandestines (geheim-diskretes) Hobby-Sexwork)
  • Beratung suchen: beste Freundin, Bücher, Internet, Prostituiertenberatungsstelle, Anwalt
  • Äußeres Coming-out gegenüber Partner, guten Freunden, Verwandten
  • Lehr- und Wanderjahre, die Welt kennenlernen, (global Sexwork, Migration)
  • Einstieg in die Vollerwerbs-Sexarbeit als Alleinselbständige (das neg. Wort "Profi" signalisiert das Risiko)
  • Sesshaft werden, Geschäft ausbauen
  • Legalisieren: Krankenversicherung, Steuerberater, Homepage-Impressum, Gewerberaum Anmeldung
  • Professionalisieren: Club oder Agentur wechseln, Homepage2.0, Versicherungen, Studio ausbauen
  • Optimieren: Massengeschäft (Generalist) bzw. eigene Marktlücke finden
  • Altersvorsorgeplan umsetzen (erstellt sein sollte er schon viel früher): Eigentumswohnung kaufen
  • Spezialisierung wie z.B. BDSM, Tantra etc.
  • Mit Kolleginnen arbeiten, zusätzliche Geschäftsmodelle aufbauen
  • Krise mit externer Ursache: Krankheit, Unfall, Gewalterlebnis, Partnerverlust...
  • Krise mit interner Ursache: Sinnkrise/Überlastung, Puffkoller, burn-out (SWBO), evt. Arbeitsunfähigkeit
  • Pausieren, vorläufiges Aussteigen (Yo-yoing) und Wiedereinstieg
  • Neuorientierung, Umschulung/Fortbildung, Stellensuche, finaler Ausstieg (Outplacement) oder
  • Agentur oder Club eröffnen
  • ...
  • Sich zur Ruhe setzen, passives Einkommen haben, Buch, Film veröffentlichen

Siehe auch das Produkt-Lebenszyklus-Modell Sexwork
angelehnt an Marketing und Industrie:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=85196#85196

Wellness-Life-Coaching, Karte der inneren Welt, Happyness statt SWBO:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=106007#106007 SW only

Anmerkungen und Tipps zur "Degressiven Verdienstkurve" und "Theory of retrogressive life cycles":
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=109134#109134





Folgendes Chart der Entwicklunspsychologie soll schematisch die (neun) Lebensphasen und jeweils anstehenden Entscheidungsprobleme (Lebensaufgaben) verdeutlichen. Alle sieben Jahre beginnt quasi eine neue Lebensphase, weil dann jeweils alle Körperzellen vollständig regeneriert und ausgetauscht sind. Allerdings ist das nur ein Modell und eine Reflexionshilfe und natürlich bei jeder Person sehr individuell verschieden.
Dateianhänge
Hilfe zur Lebensplanung
Hilfe zur Lebensplanung
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 14.01.2012, 18:47, insgesamt 2-mal geändert.

ehemaliger_User
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Ausstieg einer Edelhure

#180

Beitrag von ehemaliger_User »

Die BILD schreibt am 19.10.2011:

Ex-Callgirl Cleo van Eden
Wovon lebt eine Edelhure nach der Prostitution?

Von JULIA FINGER

Was macht eine Edelhure, die plötzlich keine Lust auf Sex mit fremden Männern hat? Die nicht mehr Nacht für Nacht als Callgirl anschaffen will? Wie sieht die Karriere nach der Prostitution aus?

Cleo van Eden (29) hat seit 2003 als Hure gearbeitet. Die Entscheidung, nach acht Jahren aus dem Metier auszusteigen, fiel ihr nicht schwer. Im Gespräch mit BILD.de erzählt sie, wie ihr Leben weitergeht.

Abitur, Wirtschaftsstudium, Kauffrau - so sah van Edens Vita vor dem unkonventionellen Job als Freudenmädchen aus. Das schnelle Geld schien ihr irgendwann verlockender als die ewig gleiche, schlecht bezahlte Büroarbeit. An manchen Tagen hatte sie fünf Freier. Wer bis zum Frühstück bleiben wollte, musste 1200 Euro auf den Nachttisch legen.

Doch Cleo, die auf ihrer Webseite damit wirbt, den "prallsten Arsch im Norden" zu haben, hatte irgendwann keinen Spaß mehr am bezahlten Sex. Und genauso schnell, wie sie sich vor acht Jahren für das Rotlichtmilieu entschied, entscheidet sich die Hamburgerin nun dagegen.

"Meine Kunden haben mir angemerkt, dass ich nicht mehr will. Das hat mir zu denken gegeben." Ihre letzten drei Treffen hat Cleo im Internet an Stammfreier versteigert. Wie viel die Männer gezahlt haben, will sie nicht verraten. Es sei "eine Art angemessene Abfindung" gewesen.

Doch wie geht ihr Leben nun weiter? Van Eden: "Ich muss zugeben: Es ist nicht einfach, aus der Branche auszusteigen." Sie mache jetzt "Solo- und Lesbensachen", wie sie sagt, also Dildoshows vor der Webcam, und kürzlich hat sie ihre erste Szene in einem Hardcore-Porno der Produktionsfirma Videorama gedreht. An ihrer Seite spielte Pornostar Vivian Schmitt. Sex-Szenen mit Männern sind allerdings tabu. Cleo ist Moderatorin des Online-Erotiksenders "Babestation24", hatte auch schon TV-Angebote, "aber das Passende war bis jetzt nicht dabei". Mit dem Produzenten von Tim Toupet ("Du hast die Haare schön") hat sie den Schlager "Die Rose vom Wöthersee" aufgenommen. "Man kann mich auch weiterhin als Domina oder Begleitung buchen - jedoch ohne Intimkontakt."

Von der Prostitution konnte die 29-Jährige besser leben. Nun hat Cleo van Eden für das gleiche Geld mehr Aufwand. "Aber wenn einem das Herz sagt, was man tun soll, muss man darauf hören."

Ihr Herz sagt ihr auch, dass sie bald Kinder haben will. Bis jetzt fehlt noch der Mann dazu. Wenn es soweit ist, würde sie die Erotikbranche komplett verlassen. "Keine Webcam-Sessions mehr, keine Lesbendrehs, nichts." In ein Angestelltenverhältnis will die Hamburgerin trotzdem nie wieder zurück. Wie soll eine Hure dem Personalchef beim Vorstellungsgespräch auch erklären, was sie die letzten Jahre gemacht hat?

"Der einzige Ausweg ist die Selbstständigkeit in einem anderen Gewerbe." Ihr großer Traum: ein eigenes Kosmetikstudio.
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